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Zeittöne Sommer 2021 - Stiftung Liebenau

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Dichtung und Weisheit

Dichtung und Weisheit »Es sprudelt einfach aus mir heraus« Das Haus der Pflege St. Pirmin befindet sich im malerischen Winzerort Maikammer in Rheinland-Pfalz. Für die üppige Rebenlandschaft und guten Wein ist Maikammer bekannt, dass dort auch ein »dichtender Hausmeister« zuhause ist, wissen nur Eingeweihte. Marco Brill ist ein Multitalent und hochgeschätzter Mitarbeiter im Haus der Pflege St. Pirmin. Der studierte Englisch- und Erdkundelehrer mit handwerklicher Ausbildung zum Brauer und Mälzer, hat sich eines Tages entschieden: Der Aushilfsjob im Haus der Pflege St. Pirmin zur Finanzierung seines Studiums machte ihm solche Freude, dass die Anfrage, ob er nicht hauptberuflich als Haustechniker tätig werden wollte, von ihm nicht lange überdacht werden musste. Das Studium zum Realschullehrer hat er dann gar nicht mehr abgeschlossen. Und so arbeitet Marco Brill seit über 10 Jahren im Haus St. Pirmin als Haustechniker. Bald stellte sich heraus, er hat auch ein gutes Händchen im Umgang mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Nach Dienstschluss setzte er sich zu ihnen, suchte das Gespräch oder animierte zum gemeinsamen Brettspiel. Und so wurde er Sozialbetreuer und teilt heute seinen Arbeitsalltag auf: In der einen Hälfte ist er der Mann, der versiert das Haus in Schuss hält, in der anderen Hälfte ist er zugewandter Partner für die Menschen, die im Haus leben. Beides bezeichnet er als Berufung. »Ich habe ja das Glück gehabt, vorher zwei Berufe erlernen zu dürfen. Sie sind eigentlich die Grundlage meines heute erfüllten Arbeitslebens.« Und dann schreibt er Gedichte. Sie »sprudeln aus mir heraus«, sagt er. Sein erstes Gedicht schrieb der dreiundvierzigjährige als junger Mann nach einem einschneidenden Schicksalsschlag. Seine Freundin hatte sich von ihm getrennt. Darunter habe er sehr gelitten und im Schreiben »Heilung« gefunden. Schmerzhaft sei das gewesen, aber so gut, weil alles aus ihm raus und auf Papier sichtbar wurde. So hat das Unglück eine bis heute anhaltende Lust am Schreiben hervorgebracht. Und das Glück in der Liebe ist zurückgekehrt. Es sind immer besondere Situationen, die ihn motivieren in die Tasten zu hauen oder den Stift in die Hand zu nehmen. Er erinnert sich noch sehr gut an den ersten Todesfall, den er als junger Mitarbeiter im Haus St. Pirmin erlebt hat. Er empfand den Abschied und die Trauer um den verstorbenen Menschen als so schmerzhaft, dass er ihm ein Gedicht gewidmet hat. »Ich war schon als Bub fasziniert vom Wort und seinen Möglichkeiten. Da ist mein Onkel, Klaus Stieglitz, nicht ganz unschuldig.« Stieglitz ist 1991 bei einem Flugzeugabsturz gestorben und war einer, der um die Macht des Wortes als Drehbuchautor wusste und seinen Neffen früh beeindruckte. Er schreibt seine Gedichte, wenn das Leben ihn inspiriert, wenn die Menschen im Haus St. Pirmin ihm etwas erzählen, das er festhalten möchte oder gern auch nach Feierabend vor dem Fernsehgerät, wenn ihn eine Nachricht oder ein Film dazu motivieren, seine Gedanken sprudeln zu lassen. Längst wissen Freunde und Bekannte sein Talent zu schätzen und bitten ihn für sie – quasi als Ghostwriter – zu Geburtstagen oder Jubiläen ein fröhlich-hintersinniges Strophenepos zu verfassen. »Ich mache das gern, selbst wenn ich die Person gar nicht kenne. Ich lasse mir erzählen und dann fällt es mir leicht, für andere zu schreiben, die das dann vortragen.« Marco Brill hat nicht nur seine berufliche Erfüllung im Haus der Pflege St. Pirmin gefunden, sondern auch als schreibender Mensch eine tiefe Form, sich des Lebens anzunehmen und anderen Freude zu bereiten. 18 zeittöne Dichtung und Weisheit zeittöne Dichtung und Weisheit 19

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