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Zeittöne Frühjahr/Sommer 2019 - Stiftung Liebenau

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Lebenslust Impuls Liebe

Lebenslust Impuls Liebe Frau Twiesselmann, für viele Menschen ist Altsein eine Idee, die sie sich lieber nicht vorstellen mögen. Sie haben gar keine Zeit Gedanken darauf zu verschwenden. Aber eine Idee? Elke Twiesselmann: Lacht »Als Kind habe ich mir immer vorgestellt, wenn ich alt bin, dann liege ich im Bett lese und esse pausenlos Pralinen. Jetzt bin ich es und gönne mir täglich ein Stückchen Schokolade. In Wirklichkeit bin ich ein schrecklich fauler Mensch und liege sehr gern mit einem Buch auf dem Sofa. Und richtig: Dazu habe ich viel zu wenig Zeit. Ich muss Texte lernen, proben, spielen und die Vorbereitungen für meine literarischen Programme treffen. Das alles ist viel Arbeit. Aber ich genieße das. Bewegung ist auch wichtig: Thai Chi, Schwimmen und ich fahre überall mit dem Fahrrad hin. Mein Auto habe ich längst abgeschafft.« Viele freuen sich auf das Ende eines langen Arbeitslebens. Sie offensichtlich nicht. Warum? Ach, wissen Sie, darüber habe ich nie nachgedacht. Meine Professorin an der Universität fand, ich hätte ein großes Talent fürs Schauspiel. Da war ich Anfang 20 und wusste nichts vom Theater und seinen unglaublichen Möglichkeiten. Dann wurde es mein Leben. Bis heute. Natürlich habe ich das große Glück, von keinen Krankheiten zu wissen. Eigentlich ist mein ganzes Leben vom Glück begünstigt. Ich habe die Bomben in Hamburg überlebt, wurde von meinen Lehrern ermutigt, meine Stärken zu erkennen und ich habe einen großen Freundeskreis, der meine Familie ist. Es gibt so viele interessante Rollen für Frauen wie mich. Da werde ich mich doch nicht aufs Altenteil zurückziehen. Sie leben seit 40 Jahren in Stuttgart, waren über zwei Jahrzehnte Rollenlehrerin an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst und sind an verschiedenen Bühnen eine gefragte Schauspielerin. Gibt es eine Phase, die Sie besonders erlebt haben? Ob Sie es glauben oder nicht, die Zeit seit meinem 70. Geburtstag bis heute ist die schönste in meinem Leben. Ich habe seitdem eine innere Freiheit, die ich so früher nicht gekannt habe. Das wirkt sich auf mein ganzes Sein aus. Vorher habe ich mich oft kleingemacht, das ist vorbei. Ich bin kühn geworden und neugierig geblieben. Und solange das Theater mich will, gebe ich mein Bestes. Interview: Heike Schiller Prälat Michael H.F. Brock ist Vorstand der Stiftung Liebenau Spurensuche in sieben Generationen Die erste Generation, die ich bewusst erlebt habe, in Gestalt meiner Urgroßoma, wurde noch im neunzehnten Jahrhundert geboren, hat zwei Weltkriege erlebt, und ich fand meine Urgroßoma immer in den Sommerferien in H. in W., hinter dem Ofen sitzend, oder auf der Bank vor dem Haus, in schwarze Kleider gehüllt, mit einer Schürze bekleidet, beim Kartoffelschälen. Opa und Oma, die beiden mütterlicherseits, haben mir den Krieg verschwiegen, alle beide. Nur dass Opa immer Streifen an meinen Hosen vermisst hat. Großmutter väterlicherseits war der Krieg auch noch in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts anzumerken. Sie war stark und hart, nicht nur zu ihren Söhnen. Sie hatte ihren Mann verloren im Krieg. Das war die zweite Generation meiner Erinnerung. Die dritte Generation hat uns, der vierten Generation, ihr ganzes Leben lang verschwiegen, dass sie die Liebe nie kannte. Sie kannte Abschied, Aufbruch und Verantwortung. Leistung war ihr Thema, Arbeit und Anerkennung. Es war die Generation, die es wieder zu etwas gebracht hatte: Zu unserem Land, einem trügerischen Frieden, zu Wohlstand und zu einer Versicherungslogik in allen Belangen. Wir, die vierte Generation, haben alles bekommen, was wir zum Leben brauchten: Bildung, ein Dach über dem Kopf, Geld, eine Menge Leistungserwartung und Verantwortung. Nur was wir uns erträumt haben, Geborgenheit und Liebe, konnten wir nicht erwarten von der Generation, die sich damit begnügen musste, überlebt zu haben und aus den Trümmern wieder Städte zu bauen. Die fünfte Generation hat sich dann ausgetobt. Dafür waren wir, die vierte Generation, zu jung. Der sechsten Generation haben wir unsere Träume überliefert, die Sehnsucht nach Geborgenheit und die leidlich ersten Versuche, das Wort Liebe wenigstens wieder zu buchstabieren. Freilich haben wir fast die ganze Generation gebraucht herauszufinden, dass wir sie überhaupt vermissten. Wie gesagt, wir kannten die Liebe nicht. Heute wird gerade die siebte Generation geboren. Hoffentlich kommt ihr kein Krieg dazwischen. Denn sie hätte die Chance endlich wieder zu leben, was durch zwei Kriege verloren ging: Liebe und Geborgenheit. Heute verabschieden wir die dritte Generation. Manche von uns versöhnt. Bei manchen steht ein versöhnter Abschied noch aus. Und andere haben diese sieben Generationen völlig anders erlebt. Gott sei Dank. Michael H. F. Brock 14 zeittöne Lebenslust zeittöne Impuls 15

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