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WIR mittendrin - 2/2024

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2 2 | 2024SCHWERPUNKT:

2 2 | 2024SCHWERPUNKT: ALTERDen eigenen Willen dokumentierenDas Leben ist manchmal fröhlich,manchmal traurig, malliegen die sprichwörtlichenSteine im Weg, ein anderes Malläuft alles wie am Schnürchen.Über genau diese Themen unterhältsich Jutta Miller, qualifizierteGesprächsbegleiterinder gesundheitlichen Versorgungsplanungfür die letzteLebensphase, mit ihren Klientinnenund Klienten. Sie ist gemeinsammit ihrem KollegenStefan Weber in der Behindertenhilfeder Zieglerschen beratendtätig. Ihr Thema ist diePatientenverfügung und dieVertreterdokumentation beiMenschen mit eingeschränktenkognitiven Fähigkeiten.Eine Patientenverfügung greiftdann, wenn sich ein Mensch ineiner akut lebensbedrohlichenSituation befindet und selbstnicht mehr entscheiden kann.Das kann sowohl medizinischeMaßnahmen zum Lebensendebetreffen als auch gewünschteBehandlungen, die durch eineJutta Miller klärt mithilfe vieler anschaulicher Materialien, was ihren Klientinnenund Klienten für das Lebensende wichtig ist.plötzliche Notsituation entstandensind.Damit eine Patientenverfügungrechtlich abgesichert ist, mussder Klient volljährig sei, die Verfügungmuss in Schriftform vorliegenund es wird vorausgesetzt,dass jemand zumZeitpunkt der Unterschrift einwilligungsfähigist. Das bedeutetim medizinrechtlichen Sinne,dass jemand die Erklärung zueiner ärztlichen Maßnahme verstehtund sich auch über derenKonsequenzen bewusst ist. Gibtes bei letztgenanntem Zweifel,die von einem Arzt oder Psychologenbestätigt werden, könnenMenschen mit Behinderungendennoch ihren Willen in Formeiner Vertreterdokumentationschriftlich hinterlegen.Anspruch ab 18 Jahren„Inhaltlich unterscheiden sichPatientenverfügung und Vertreterdokumentationkaum“, sagtJutta Miller. In beiden Fällenwerden die einzelnen Maßnahmenerklärt und die Klientenkönnen wählen, was sie für sichals richtig erachten. Die Methoden,um diese individuellenWünsche zu ermitteln, könnendabei völlig unterschiedlichsein und „brauchen Zeit“, sagtJutta Miller, die bei der Beratungmit Hilfsmitteln arbeitet.Dazu zählen beispielsweiseBildmaterialien, bewegliche Figuren,Gebärdensprache oderauch Geschichten. Sowohl dievon der Klientin oder vom Klientenpersönlich geäußertenWünsche als auch Beobachtungenund Erzählungen derrechtlichen Betreuer, Angehörigenund Mitarbeitenden, diediese Menschen betreuen, fließenin die Dokumentation mitein.Text/Foto: Lydia SchäferSCHWERPUNKT: ALTERSchön wäre, wenn alles noch eine Weile so weitergingeDie beiden Freunde Paul S. (rechts)und Willy N. sind Klienten derStiftung KBZO. Sie unternehmenviel gemeinsam.Die beiden Freunde Paul S., 58Jahre, und Willy N., 63 Jahre,kennen sich schon lange undunternehmen manches zusammen,unter anderem besuchensie die Seniorenbetreuung derStiftung KBZO in Weingarten.Paul S. hat eine Körperbehinderungund ist seit acht JahrenKlient der Stiftung KBZO. Nebendem Tourette-Syndrom leidet erunter starken körperlichenSchmerzen und hat eine eingeschränkteSehkraft. Willy N.kam mit einer Spastik in denHänden und Beinen zur Welt. Erist seit 1974 Klient der StiftungKBZO, ist hier zur Schule gegangenund hat auch seine Ausbildungals Bürohelfer gemacht.Durch das Älterwerden ändertsich einiges für Willy N., wie erberichtet: „Ich bin bereits seitGeburt auf Unterstützung undeinen Rollstuhl angewiesen.Früher konnte ich manchmalmit Hilfe der Therapeuten nochetwas laufen. Das wird mit demAlter schwieriger und verlangsamtsich.“Wunsch: Teilhabe am LebenPaul S. schildert: „Meine Zuckungenwerden extrem, wennich nicht genug Ruhe habe. Früherkonnte ich noch mehr bastelnund Kunstwerke bauen, dasgeht jetzt leider nicht mehr.“Heute verbringt er seine Zeit amliebsten gemeinsam mit Willy N.„Willy ist mein bester Freundund tut alles für mich.“Fürs Älterwerden wünscht sichPaul S.: „Ich möchte weiterhinmeinem Hobby Fliegen nachgehen.Mich interessiert alles anFlugzeugen oder dem Zeppelin.Ich wünsche mir auch, dassmeine Zuckungen nicht schlimmerwerden.“ Willy N. fasst zusammen:„Naja, es ist kein großerWunsch, aber es wäreschön, wenn alles noch eineWeile so weitergeht. Dass ichmeine Dinge weitgehend selbstständigerledigen kann.“ Beidewünschen sich, noch lange amgesellschaftlichen Leben teilhabenzu können.Text/Foto: Nora Gollob,Stiftung KBZO

2 | 2024 3Maren Müller-Erichsenkam zu ihremEngagement bei derLebenshilfe über ihrenSohn mit Down-Syndrom,der 2021 an denFolgen einer Corona-Infektion verstorbenist.SCHWERPUNKT: ALTERRuhestand individuell gestaltenMenschen mit Behinderungenerhielten Rechte, und zwar inallen Lebensphasen, zum BeispielRecht auf Bildung, Arbeit,Freizeit, Wohnen und auch dasRecht auf Leben. Mit der Ratifizierungder UN-BehindertenrechtskonventionDeutschlandsim Jahr 2009 fand dieseEntwicklung als Gesetz ihrenNiederschlag.Lange glaubten nur wenige Experten,dass Menschen mit Behinderungendas Rentenaltererreichen würden. Viele Elternhatten die „Hoffnung“, dass sieihre Söhne und Töchter überlebenwerden. Der Wunsch nacheinem Wohnplatz hielt sich inGrenzen. Ich habe dies in den1970er und 80er Jahren beobachtetund natürlich auch gesehen,dass diese Eltern selbstimmer älter wurden. In Gesprächenerhielt ich die Antwort: „Esgeht doch noch. Und wenn wirvor unserem Kind sterben, dannkümmert sich die Lebenshilfe.“Das konnte ich natürlich zusagen.Sorgen bereitete mir derGedanke an die Seele der Söhneund Töchter mit Behinderungen.Sie wurden weder auf das Alternder Eltern noch auf das eigeneAltwerden vorbereitet. Wieverkraften sie zum Beispiel denVerlust ihrer Eltern, plötzlichohne ihren Lebensmittelpunkt?Nicht immer sind Geschwisterda, die eine Elternrolle übernehmen.Ich habe erlebt wiesehr mein Sohn gelitten hat, alssein Vater vor acht Jahren starb.Er hat einen Abschiedsbrief anihn geschrieben, den wir mit indie Urne gelegt haben. An derBeerdigung konnte und wollteer nicht teilnehmen.Neue Konzepte entwickeltIn den Jahren 2008 und 2009trafen sich Vertreter der Wohlfahrtsverbände,um unter derFührung von Prof. Helmut Mair,ein Konzept zum selbstbestimmtenRuhestand von Menschenmit Behinderungen zuentwickeln. Ich habe als Vertreterinder BundesvereinigungLebenshilfe an dem Konzeptmitgearbeitet. Wesentliche Inhalte,die spätestens seither inder Praxis Eingang finden,waren: Vorbereitung und Begleitungbeim Übergang, selbstbestimmteGestaltung des Ruhestandes,eigene Wohnung,Aufgaben oder eine Arbeit, deneigenen Lebensrhythmus finden.Wichtig ist meines Erachtens,die angehenden Senioreninnenund Senioren engeinzubeziehen, wie sie die Zeitnach einem aktiven Arbeitslebengestalten wollen.Wichtige TagesstrukturHeute leben in unseren Wohnstättender Lebenshilfe vieleBewohnerinnen und Bewohner,die längst im Ruhestand sind.Manche von ihnen haben eineTagesstruktur in der Wohnstätte,andere gehen in eine Tagesstättefür Senioren. Alle habenein lebenslanges Recht auf Eingliederungshilfe.Bleibt noch die Frage, wie wiran Demenz erkrankte Menschenmit Behinderungen besserunterstützen? An dieser Expertisemüssen wir arbeiten.Text: Maren Müller-ErichsenFoto: privatDie LebenshilfeDie Bundesvereinigung Lebenshilfeversteht sich alsSelbsthilfevereinigung sowieEltern-, Fach- und Trägerverband.Sie unterstütztMenschen mit Behinderungenund ihre Familien beider gesellschaftlichen Teilhabe.Der gemeinnützigeVerein wurde 1958 von Elternmit Kindern mit Behinderungengegründet.Der Verein macht sich auchpolitisch für seine Themenstark.Literaturhinweise• Geliebte Kinder – EineMutter kämpft für dieRechte von Menschen mitBehinderungen, MarenMüller-Erichsen, AdeoVerlag; 2021• Segel setzen, Aufbruchzum selbstbestimmtenRuhestand von Menschenmit Behinderung, Hrsg.Software-AG-Stiftung;2009