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WIR mittendrin - 2/2021

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10 2 | 2021 BETREUUNGSVEREIN Betreuung nach „Wunsch“ Eine schwere Erkrankung, ein Unfall oder eine Behinderung können dazu führen, dass Menschen nicht mehr eigenverantwortlich entscheiden oder handeln können. Liegt keine Vollmacht vor, in der etwa eine nahestehende Person aus Familie oder Freundeskreis benannt wurde, prüft das Amtsgericht (Betreuungsgericht), ob eine rechtliche Betreuung notwendig ist, für welche Aufgabenkreise und wer zum Betreuer bestellt wird. Der Betreuungsverein St. Martin im Kreis Ravensburg und dessen ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer übernehmen solche rechtlichen Betreuungen. Zu den Aufgaben des Vereins gehört auch die Beratung zu vorsorgenden Verfügungen, Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen, um eine Betreuung zu vermeiden. Derzeit sind 274 ehrenamtliche Frauen und Männer engagiert, die 390 Menschen im Landkreis Ravensburg begleiten. Die drei Sozialarbeiterinnen des Vereins Monika Bettinger (rechts), Geschäftsführerin vom Betreuungsverein St. Martin im Kreis Ravensburg, mit einer Betreuten. betreuen 65 weitere Personen. Etwa ein Drittel der Betreuten sind Menschen mit geistigen Behinderungen, die in Einrichtungen im Landkreis Ravensburg leben. Weitere Personen werden auf Grund altersbedingter oder psychischer Einschränkungen betreut. Im Mittelpunkt der Betreuungen steht immer der betreute Mensch. Seinen Wünschen und Interessen sollen die Betreuerinnen und Betreuer „Sprache geben“. Der Betreuungsverein St. Martin bildet die Ehrenamtlichen aus, berät und unterstützt sie in allen Fragen rund um die Betreuung. Betreuungen nehmen zu In Deutschland werden etwa 1,3 Millionen Menschen (Stand 2017) aufgrund von Krankheiten oder Behinderungen rechtlich betreut. Die Zahl der Betreuungen wird in den kommenden Jahren steigen. Gründe sind die demographische Entwicklung, die Zunahme von Erkrankun- gen, veränderte Familienstrukturen und neue gesetzliche Regelungen. Das neue Bundesteilhabegesetz zum Beispiel bietet für Menschen mit Behinderungen deutlich mehr gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion, aber auch mehr Aufwand. Die Teilhabe nach eigenen Wünschen zu gestalten ist komplexer und die Betroffenen benötigen an vielen Stellen bürokratische und rechtliche Unterstützung. Die Reform des Betreuungsrechts, die 2023 in Kraft tritt, wird die Wünsche der Betreuten noch mehr in den Mittelpunkt rücken und will Betreuungen qualitativ aufwerten. Der Verein sucht laufend Menschen, die sich engagieren möchten. Weitere Informationen: www. betreuungsverein-st-martin.de Text: Monika Bettinger Geschäftsführerin Betreuungsverein St. Martin im Kreis Ravensburg e. V. Foto: Karin Volz GESETZLICHE BETREUUNG Wie ich zu meiner gesetzlichen Betreuerin kam Seit März 2021 kommt alle vier Wochen Stephanie Vetter zu mir nach Hause. Dabei besprechen wir alle Themen, die für mich wichtig sind. Zum Beispiel die Themen Gesundheit und Geld, Anträge und dass die Physio- und Ergotherapien weiterlaufen sollen. Leider geht es mir gesundheitlich seit einiger Zeit nicht so gut. Ich brauche mehr Unterstützung in der Pflege und habe viele Arzttermine. Es müssen Anträge gestellt werden, was meine gesetzliche Betreuerin für mich übernimmt. Wir kommen gut miteinander aus. Ich erzähle ihr Irmgard Weiland (links) mit ihrer gesetzlichen Betreuerin Stephanie Vetter. alles, was ich erlebt habe und wo ich war. Dass ich drei Mal bei der Landesgartenschau in Überlingen bei Schnupperkursen über die „Leichte Sprache“ informiert habe. Auch klären Stephanie Vetter mit Stephanie Gfrerer, meine Assistentin in der Stiftung Liebenau, öfter, wer was zu machen hat. Ich habe es nicht bereut, dass ich jetzt eine vom Amt zugeteilte Betreuerin habe. Ich musste mich zwar zuerst daran gewöhnen, dass noch eine andere Bezugsperson für mich da ist. Aber ich bin froh, dass sie die vielen Dinge mit Formularen und Anträgen für mich regelt. Durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ist vieles umfangreicher und komplizierter für mich geworden, und ich verstehe nicht mehr alles. Text: Irmgard Weiland, lebt im Ambulant Betreuten Wohnen der Stiftung Liebenau Foto: Stephanie Gfrerer

2 | 2021 11 PERSÖNLICHES BUDGET Experte in Sachen Selbstständigkeit Bei einem Kopfsprung in einen Baggersee am 3. August 2003 erlitt ich eine Querschnittslähmung im Halswirbelbereich. Nach einer neunmonatigen Reha war klar, alleine und eigenständig leben wird nicht mehr möglich sein. Oder doch? Heute bin ich 39 und lebe seit zwölf Jahren selbstständig in einer eigenen Wohnung. Möglich macht es die Persönliche Assistenz. Die Assistenz wird über das sogenannte Persönliche Budget finanziert. Diese Unterstützungsform ist eine Geldleistung. Damit haben Menschen mit Behinderungen seit 2008 die Möglichkeit selbst zu entscheiden, wo sie ihre Hilfen einkaufen. Entweder als Arbeitgeber im sogenannten Arbeitgebermodell oder über einen Assistenz- oder Pflegedienst. Meinen Hilfebedarf von 24 Oliver Straub unterstützt Ratsuchende als EUTB-Peer-Berater. Stunden täglich organisiere ich selbst im Arbeitgebermodell. Ich habe fünf Assistenzkräfte, die abwechselnd in 24 bis 48-Stundenschichten bei mir arbeiten. Sie unterstützen mich bei allen Dingen des täglichen Lebens. Haushaltsführung, Pflege, Unterstützung in der Arbeit und der Freizeit oder die Begleitung in den Urlaub zählen zu den Aufgaben der Assistenz. Gefragte Expertise Schon kurz nach meinem Antrag bekam ich die ersten Anfragen von anderen Querschnittsgelähmten wie ich das ganze organisiere. Von da ab fing ich an ehrenamtlich andere Menschen mit Behinderungen zu beraten und zu unterstützen. 2017 entschloss ich mich für eine Weiterbildung als Peer Counseler beim Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter e.V. (ISL). Peer Counseling ist eine Beratungsmethode bei der Betroffene ihre Erfahrungen an andere weitergeben. Mit dieser Qualifikation hat man zum Beispiel die Möglichkeit, als Berater in einer EUTB-Beratungsstelle zu arbeiten. EUTB bedeutet Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung. Seit Mai 2020 arbeite ich für die EUTB Ravensburg-Sigmaringen. Dort unterstütze und informiere ich Ratsuchende bei allen Fragen zum persönlichen Budget, aber auch bei der Beantragung von Hilfsmitteln, zum Urlaub mit dem Rollstuhl oder zum Umgang mit der eigenen Behinderung. Text: Oliver Straub, EUTB-Peer-Berater Foto: privat FREIZEIT Es ist in mir drin Mein Name ist Claudia Trompa. Ich bin 40 Jahre alt. Ich lebe in einer kleinen Wohnung in Tettnang. Schon als Kind malte ich Bilder. Mit Delfinen habe ich angefangen. Gelernt hat mir das Malen niemand. Es ist in mir drin. In meiner Kindheit habe ich von meinen Eltern Tierbücher bekommen. Daraus habe ich zunächst mit Pauspapier die Umrisse von Delfinen abgezeichnet. Dies habe ich oft wiederholt, dann habe ich angefangen die Delfine frei zu malen und habe gemerkt, dass es ganz einfach geht. So habe ich es mit vielen anderen Tieren und Motiven auch gemacht. Für die Leinwand war es wichtig, dass ich ohne Pauspapier malen kann, wegen der Größe. Den Hintergrund und alles was außen herum ist, Mit Delfinen fing alles an: Schon als Kind studierte die Malerin Bilder. überlege ich mir selbst. Ich habe immer viele Ideen im Kopf. Fantasie und kräftige Farben Ich mag es sehr, wenn ich meine Fantasie beim Malen einsetzen kann. Es ist mir wichtig, Claudia Trompa hat sich das Malen selbst beigebracht. dass die Farben kräftig sind. Ich achte sehr darauf, dass sie zusammenpassen, zum Beispiel Gelb, Orange und Rot oder Grün, Türkis und Blautöne. Ich finde es toll, wenn es harmonisch aussieht. Ich mag sehr gerne Weisheiten, die zum Leben passen. Das hilft mir in schwierigen Zeiten, genauso wie das Malen. Es regt meine Fantasie an und ich kann Tiere malen, welche ich sehr liebe. Vielleicht habe ich es von meiner Mutter. Sie konnte auch schön malen. Jeder Mensch hat ein gutes Herz. Daran glaube ich fest. Deshalb male ich auch gerne Herzen. Ich wünsche mir, dass ich mit meinen Bildern eine Ausstellung machen kann. Dafür brauche ich einen Raum. Seit kurzem hängen zwei Bilder von mir im Büro der Ambulanten Hilfen in Tettnang. Das macht mich sehr glücklich. Text: Claudia Trompa. Sie wird von der Diakonie Pfingstweid begleitet. Fotos: Patrizia Pechan

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