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Technik in der Pflege

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3.

3. Technik sollte passgenau dem geforderten Hilfebedarf entsprechen. Auch die technischen Maßnahmen, die im Rahmen der Pflege zum Einsatz kommen, sind vielfältig und variieren in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Sie umfassen den Bereich der Medizintechnik wie den der Psychiatrie und reichen von A wie „Absaugen“ bis Z wie „Zwangsjacke“. Es ist stets zu prüfen, ob die eingesetzte Technik die erforderliche Unterstützung bietet oder ob nicht ein anderes technisches Hilfsmittel geeigneter ist, weil es vielleicht einfacher bedient werden kann und/oder weniger Risiken birgt. Die entwickelten technischen Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen wie etwa das Niederflurbett anstatt des Bettgitters sind Beispiele für passgenauen Technikeinsatz. Insofern ist vor jeder Entscheidung über den Einsatz einer technischen Maßnahme nach Alternativen zu suchen, die möglicherweise dem individuellen Bedarf besser angepasst sind. 4. Jeder Technikeinsatz sollte im Blick auf seine Folgen für die betroffenen Menschen vorsichtig bewertet werden. Bis in die 1970er Jahre sprach man häufig von „technischem Fortschritt“, ohne darüber nachzudenken, ob die neu entstehenden Produkte und die dabei angewandten Verfahren wirklich dem Wohl der Menschen dienten (vgl. These 1). Der Philosoph Hans Jonas bringt mit seinem Werk „Das Prinzip Verantwortung“ (1979) eine gewisse Skepsis gegenüber der Technik ins Spiel. In dem Buch fordert Jonas eine Technikfolgenabschätzung nach dem Vorsichtigkeitsprinzip („Heuristik der Furcht“). D.h., dass mögliche Schadensrisiken der Technik nicht durch geringe Eintrittswahrscheinlichkeiten kleingerechnet werden dürfen, sondern dass ihr Auftreten angenommen werden muss (sog. Worst-case-Szenarien). Dies darf jedoch nicht dazu führen, Technik zu „verteufeln“. Als wichtiges Feld der Technikfolgenabschätzung erweist sich in zunehmendem Maße der sensible Umgang mit personenbezogenen Daten im Einklang mit dem geltenden Datenschutz. 5. Technikeinsatz in der Pflege verlangt eine intensive Auseinandersetzung mit der Autonomie der zu pflegenden Person und pflegerischen Notwendigkeiten Eine wichtige Erfahrung mit Technik ist die der ethischen Ambivalenz: Technik soll einerseits eine Unterstützung sein, sie wirkt andererseits aber auch überwältigend und undurchsichtig. Diese Ambivalenz gilt zweifellos nicht nur für den Einsatz der Technik in der Pflege, ist dort aber besonders gravierend, da Menschen in Pflege häufig weniger als andere in der Lage sind, die ihnen 4

angebotenen technischen Produkte zu verstehen und ggf. abzulehnen. Dies betrifft vor allem den Bereich der Medizinethik, wenn es um technische Fragen in der Behandlung der Patienten geht. Insofern sollte Technik nicht gegen den Willen einer pflegebedürftigen Person eingesetzt werden, die zuvor umfassend informiert worden ist. Wo es jedoch zu physisch oder psychisch schwer zumutbaren Lebenssituationen beteiligter Personen kommt, muss eine Auseinandersetzung mit der Autonomie der zu pflegenden Person und den pflegerischen Notwendigkeiten stattfinden. 6. Technik in der Pflege ist individuell in die Spannungsfelder „Freiheit und Schutz“ und „Selbstbestimmung und Fürsorge“ einzuordnen. Am Einsatz der GPS-Geräte wird deutlich, worin generell die ethische Ambivalenz technischer Innovationen in der Pflege besteht: Die Einrichtungen, die solche Geräte verwenden, bewegen sich in einem subjektbedingten Spannungsfeld zwischen dem Freiheitswillen der zu pflegenden Menschen einerseits und deren Bedürfnis nach Schutz andererseits. Ein zweites, institutionenbedingtes Spannungsfeld besteht zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Bewohnerinnen und den Fürsorge- und Obhutspflichten der Einrichtungen. Eine solche ethische Beurteilung der Technik sensibilisiert die Pflegenden für Vor- und Nachteile der Technikanwendung im Bedarfsfall. Diese Thesen sollen zum ethischen Diskurs anregen. Das bedeutet, dass Entscheidungen, die das Thema „Technik in der Pflege“ betreffen, nicht von einer Person allein getroffen werden. Es gilt mindestens das Vier-Augen-Prinzip. Anwendungsbeispiel: GPS-Tracker für Menschen mit Hinlauftendenz Derzeit befinden sich verschiedene Ortungssysteme auf dem Markt für technische Hilfsmittel in der Pflege. Stationäre Ortungsanlagen und sog. hybride Systeme werden im Folgenden außer Acht gelassen, da sie entweder nicht personenspezifisch genug sind oder eine Echtzeitüberwachung ermöglichen, d.h. datenschutzrechtlich bedenklich sind. Das hier betrachtete Beispiel eines GPS-Trackers bietet die Möglichkeit, bestimmte Bereiche (Korridore) personenspezifisch festzulegen, bei deren Überschreiten ein Signal an die Pflegekräfte via Haustelefon gesendet wird. Die Pflegekräfte haben dann die Möglichkeit, die betreffende mit GPS-Sender ausgestattete Person, die gerade ihren Korridor verlassen hat, ausfindig zu machen und sich um sie individuell zu kümmern. Eine automatische Zurückführung der Person, ohne sich mit ihrer aktuellen Lage auseinanderzusetzen, ist nicht gewünscht und würde als Freiheitsentziehung i.S.d. § 1906 BGB gelten. 5

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