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Menschenwürde und Selbstbestimmung

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2. Theoretische

2. Theoretische Grundlegungen 2.1. Annahmen über die Menschenwürde Die folgende Charakterisierung der Menschenwürde geht von Grundannahmen aus, die ihrerseits nicht weiter begründet werden können. Trotzdem lässt sich die Menschenwürde sowohl im Kontext des Christentums als auch einer säkularen Philosophie plausibel erklären, das heißt, es gibt gute Indizien dafür, der Menschenwürde folgende Merkmale zuzusprechen. 2.2. Absoluter und unantastbarer Wert Nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz ist die Würde des Menschen unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Auch in Ausnahmesituationen, wie beispielsweise einer Pandemie, darf der Menschenwürdeschutz verfassungsrechtlich nicht angetastet werden. 5 Das Merkmal der Absolutheit ist Grund dafür, dass die Menschenwürde begrifflich nur schwer fassbar ist. Kriterien, die die Menschenwürde konkretisieren wollen, können deswegen immer nur ein Hilfsmittel sein (vgl. dazu Abschnitt 3.1.), die eine ethische Orientierung geben. Zugänglich wird die Idee der Würde am ehesten über die negative Grunderfahrung von Menschen, dass ihre Würde verletzt werden kann (vgl. Kap. 2.3.). 2.3. Moralischer Höchstwert Der Philosoph Immanuel Kant (1724 – 1804) erachtet die „Würde einer Person“ als einen zentralen Begriff der Ethik. Nach Kant ist die Würde ein Wert 2 an sich, der aus sich heraus wertvoll und wünschenswert ist. Er kann aus keinen moralischen Voraussetzungen abgeleitet beziehungsweise durch keine weitergehenden Argumente begründet werden 3 . Die Menschenwürde hat keinen Preis. Deswegen ist sie unverrechenbar. Jeder Vergleich mit anderen moralischen Werten scheitert an der Absolutheit, das heißt der Eigenständigkeit und dem Eigenwert der Menschenwürde. Von daher verbietet es sich auch, die Würde des einen Menschen gegen die Würde eines anderen Menschen abzuwägen. Die Absolutheit der Menschenwürde ist eine Grundannahme, ohne die keine personale Ethik auskommt: „Die Achtung der Menschenwürde ist deshalb nicht ein moralischer Wert wie andere Werte, sie ist auch keine Rechtsnorm neben anderen Normen, kein Rechtsgut in Konkurrenz zu anderen Rechtsgütern und nicht ein Grundrecht neben anderen Grundrechten. Sie hat vielmehr einen prinzipiell anderen Status als sonstige Werte, Normen, Rechtsgüter und Rechtsansprüche, da sie deren unhintergehbare Prämisse darstellt.“ 4 , so Heiner Bielefeldt, Inhaber des „Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik“ an der Universität Erlangen-Nürnberg. 2 Werte sind Vorstellungen dessen, was sein soll. Sie geben dem Menschen eine Handlungsorientierung. 3 Vgl. Immanuel Kant: GMS, AA, Bd. IV, S. 428f; an dieser Stelle ist nicht auf das Problem einzugehen, dass Immanuel Kant die innere Würde an die Moral- beziehungsweise Vernunftfähigkeit des Menschen knüpft. In vielen ethischen Wertsystemen nimmt die Menschenwürde die höchste Rangstufe ein. Bei Wertkonflikten ist sie anderen Werten immer vorzuziehen. Darauf wurde schon oben verwiesen. Dieser herausgehobene Stellenwert der Menschenwürde kommt auch in der rechtlichen „Spitzenposition“ zum Ausdruck, den sie im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland einnimmt. Lebensweltlich und verfassungsrechtlich ist die Würde mit der Handlungsfreiheit (als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts) verbunden: Im Jahr 1958 sprach der Bundesgerichtshof in der Herrenreiter-Entscheidung erstmals davon, dass die Artikel 1 und 2 GG das schützten, „was man die menschliche Personenhaftigkeit nennt; […]. Sie schützen damit unmittelbar jenen inneren Persönlichkeitsbereich, der grundsätzlich nur der freien und eigenverantwortlichen Selbstbestimmung des Einzelnen untersteht und dessen Verletzung rechtlich dadurch gekennzeichnet ist, daß sie in erster Linie sogenannte immaterielle Schäden, Schäden, die sich in einer Persönlichkeitsminderung ausdrücken, erzeugt.“ 6 Bis in die letzten Urteile des Bundesverfassungsgerichts hinein gilt heute die Selbstbestimmung als ein wesentlicher Ausdruck der Würde des Menschen. 2.4. Universaler Wert Jeder Mensch hat eine unverfügbare Würde, weil er Mensch ist. Das Bundesverfassungsgericht bekräftigt: „Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur 5 Vgl. Anna-Bettina Kaiser: Ausnahmeverfassungsrecht, Tübingen 2020, S. 218–219 u. S. 240–241. Demgegenüber können Grundrechte gemäß des sogenannten Drei-Stufen- Modells durchaus eingeschränkt werden; vgl. ebd., S. 226–232. 4 Heiner Bielefeldt: Menschenwürde, Der Grund der Menschenrechte, Berlin 2008, S. 13. 6 BGH, Urteil vom 14.02.1958 – I ZR 151/56, Rn. 17. 6 7

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