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Max’ Geschichte auf der therapeutischen Wohngruppe

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Max’

Max’ Geschichte Autos sind seine Welt. Umso aufgeregter ist Max, wenn ihn seine Eltern alle drei Wochen mit ihrem Wohnmobil abholen, um gemeinsam die Gegend zu erkunden. Sie fahren dann an den Bodensee, paddeln mit dem Kajak über’s Wasser und grillen am Abend, was er als „sehr tolle Idee“ bezeichnet. 2008 war Familie Stepp vier Wochen lang in der Eltern-Kind-Station der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Max kam als Frühchen auf die Welt, hat eine Sehbehinderung und suchte auffallend viel Nähe und Bindung. Doch bis zu seinem 9. Lebensjahr und dem Aufenthalt in der St. Lukas-Klinik gab es keine Diagnose. Das war für die Familie eine wichtige Zeit, als sie erfuhren, dass Max neben seiner Sehbehinderung und Intelligenzminderung auch Autismus hat. Maximilian Stepp ist 19 Jahre alt. Er lebt seit 2014 auf der sozialtherapeutischen Wohngruppe Lukas 41 der St. Lukas-Klinik. Michael Stepp und Michaela Guhmann- Stepp, die Eltern von Max, mit ihrem Sohn „Max lebte bis zum 15. Lebensjahr bei uns zu Hause. Er ging in eine sonderpädagogische Schule. Ein ganz großes Problem war, dass er immer eine Bezugsperson brauchte, die er sehr eng an sich band. Er wollte eine Eins-zu-Eins Betreuung – was für ihn, für seine Behinderung und seinen Autismus gar nicht gut ist. Wir haben versucht, uns manchmal Freiräume und ihm damit die Möglichkeit zu geben, für sich zu sein und alleine zu spielen. Aber er wollte und konnte nicht alleine sein. Ein paar Minuten ging es gut, dann ließ er seine Aggression an Gegenständen aus. In dieser Zeit ist bei uns zu Hause einiges zu Bruch gegangen. Er war aggressiv und autoaggressiv, wenn es nicht so lief, wie er es wollte. Irgendwann war Max nicht mehr beschulbar, da die Betreuung für seine speziellen Bedürfnisse nicht ausreichend war. Wir mussten ihn von der Schule nehmen. Dann brachten wir ihn in einer Einrichtung in unserer Region unter. Doch da Max eine Rundumbetreuung brauchte, waren sie dort schnell überfordert und er konnte nicht bleiben. Natürlich hatten wir zuvor seine Verhaltensauffälligkeiten besprochen, aber sie wurden schlicht unterschätzt. Wir mussten ihn kurzfristig abholen. Auch ein weiterer Versuch, sein Pflegebedürfnis über ein Betreuungsnetz aus verschiedenen Personen abzudecken, scheiterte. Nach einigen Wochen mussten wir einsehen, dass wir eine andere Lösung brauchen. Deshalb waren wir sehr froh, dass es uns schließlich gelungen ist, ihn in der St. Lukas-Klinik unterzubringen. Seither sind vier Jahre vergangen. Heute ist er viel fröhlicher. Er singt viel. Er hört viel Musik. Er zieht sich in sein Zimmer zurück und tanzt. Das tut ihm gut. Seine Entwicklung ist enorm. Die Alltagsversorgung wie beispielsweise das Anziehen funktioniert besser. Er wirft kaum noch mit dem Essen, den Impuls sich selbst zu verletzen hat er seltener. Er hat sich toll eingelebt. Max sagt immer „ich geh’ zu meinen Freunden“, wenn er nach einem Wochenende mit uns zurückkehrt. Wir sind sehr froh darüber. Anfangs war es für uns eine harte Zeit des Loslassens. Doch durch viele Gespräche mit den ÄrztInnen und BetreuerInnen und den regelmäßigen Kontakt mit Max haben wir das gut geschafft. Wir wissen, dass tagsüber immer jemand für ihn da ist, und dass individuell auf seine Bedürfnisse eingegangen wird. Für uns als Familie ist die Situation viel entspannter. Wir haben schöne Zeiten zusammen, das tut unserer Beziehung sehr gut. Und das spürt Max natürlich auch.“ 2

Dr. med. Jutta Vaas, leitende Oberärztin der Kinderund Jugendpsychiatrie Foto oben Max ist auf einem Auge blind und mit dem anderen sieht er sehr schlecht. Spielerisch übt er, seinen Blick auf etwas zu halten. „Ich lernte Max kennen, als er in die jugendpsychiatrische Station kam, da er zu Hause kaum noch versorgbar war. Wir erlebten ihn mit einer enormen autistischen Getriebenheit und Fixierung auf seine Wünsche, Bedürfnisse und Erwartungen. Wenn er etwas im Kopf hatte und es kam nicht umgehend zur Befriedigung seiner Vorstellungen, war Max in erheblichem Maß aggressiv, autoaggressiv und sachaggressiv. Auch Lärm führte zu Irritation, aggressivem Verhalten und Schreien. Von seiner emotionalen Entwicklung her ist Max noch sehr jung und braucht engen Kontakt. Für ihn sind klare Grenzen wichtig. Er fordert viel, und wenn man immer nachgibt, kommt er in einen Zustand, aus dem er selbst nicht mehr herauskommt. Dann verletzt er sich selbst. Für die Eltern und Betreuer- Innen war kaum auszuhalten, wie er sich selbst weh tut. Irgendwann konnten sie nicht mehr. Als Autist hielt Max es nur schlecht aus, wenn viel um ihn herum passiert. Also haben wir bei seinem Aufenthalt in der jugendpsychiatrischen Station zunächst alle Anforderungen heruntergefahren: keine Logopädie oder Ergotherapie, sondern Zimmer, Essen, Bad, Gruppe und immer wieder Pausen, in denen gar nichts passiert. Das brachte Ruhe. Dann versuchten wir, Max’ hohe Empfindlichkeit in den Griff zu bekommen und den Drang, auf alles zu reagieren. Wir schufen ein Setting mit weniger Reizen von außen; die Medikation bewirkte eine innere Stabilisierung. Max musste nicht mehr auf alles reagieren. Und das war gut. Nach einigen Wochen durfte Max auf die Wohngruppe im sozialtherapeutischen Heim, wo er ganz langsam integriert wurde. Anfangs mussten ihn zwei Männer gemeinsam versorgen, das hat einer alleine nicht geschafft. Er bekam einen geschützten Raum und klare Grenzen. Autistische Menschen profitieren von einem Umfeld, das sehr klar strukturiert und geregelt ist. Das entlastet die PatientInnen enorm. Es geht darum, den Menschen mit seinen Ressourcen zu erkennen. Herauszufinden, wo seine Grenzen sind und worin seine Fähigkeiten liegen. Dann kann man überlegen, wie man Kleinigkeiten verbessern und seinen Alltag so gestalten kann, dass es auf lange Sicht gesehen zu einer Steigerung der Lebensqualität führt. Der Schlüssel bei Max war, das richtige Maß an Förderung und Akzeptanz seiner Behinderung zu finden. Das ist gut gelungen. Ich glaube, mittlerweile hat Max, was er braucht. In der Lukas 41 haben sie einen sehr guten Umgang mit ihm gefunden und er hat eine enorme Entwicklung gemacht. Mittlerweile trägt er normale Kleidung. Ehrlich gesagt hätte ich nicht mit einer so positiven Entwicklung gerechnet. Ich wünsche ihm weiterhin eine gute Wohngruppe und, dass seine Eltern ihm so wie jetzt erhalten bleiben.“ 3

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