Mediathek der Stiftung Liebenau
Aufrufe
vor 5 Jahren

Jahresbericht 2018 der Stiftung Liebenau

  • Text
  • Bewohnerinnen
  • Bewohner
  • Einrichtungen
  • Geist
  • Arbeit
  • Angebote
  • Mitarbeiter
  • Mitarbeiterinnen
  • Leistungen
  • Menschen
  • Stiftung
  • Liebenau

DAS TATTOO 44

DAS TATTOO 44 Schwerpunkt

Ein Fahrradunfall und die Folgen Sie steht an der Schlange im Supermarkt. Ihr Blick fällt auf die Box mit Haarfärbemitteln. „Lila muss mit!” denkt sie sofort. Schon am nächsten Tag hat sich die aschblond-blaue Gina-Marie Lange verwandelt. Nein, sie hat keine Angst vor knalliger Farbe, keine Angst vor Veränderung. Wer in seinem Leben eine solche Veränderung hinter sich hat wie sie, für den sind wechselnde Haarfarben keine Mutproben mehr. Nur eines ist fix: ein Tattoo am linken Unterarm. Am 14.4.2013 hatte sie einen Fahrradunfall. Ein Auto fuhr die 14-Jährige von rechts an, sie stürzte schwer, hatte Kopfverletzungen, ihr rechtes Bein war zertrümmert. Die Ärzte versetzten sie in ein künstliches Koma – mit offenem Ausgang. und erntet Empörung. „Geh von Ginas Account runter!”, muss sie lesen. Entfernte Freunde hatten noch nicht mitbekommen, dass Gina-Marie wieder erwacht war… Ihre größte Veränderung seit dem Unfall: „Ich war vorher voll komisch, habe nicht so viel gelacht”, erzählt sie. „Und jetzt habe ich eigentlich immer gute Laune. Ich freue mich aufs Arbeiten und darauf, mit den Bewohnern was zu machen.” Seit September 2018 macht sie eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin in einer Gruppe mit erwachsenen Menschen mit psychischen und geistigen Einschränkungen. „Ich weiß, wie es ist, wenn man bettlägerig ist und sich nicht so ausdrücken kann. Meine eigene Erfahrung hilft. Ich lese viel von Gestik und Mimik ab.” Ihre Eltern kommen jeden Tag für viele Stunden. Reden mit ihr, streicheln sie, lesen ihr vor und bringen ihr ihre Lieblingssongs mit. Niemand kann damals sagen, ob sie wieder erwachen würde und vor allem, in welchem Zustand. Eine ihrer Lieblingsbands ist Linkin Park. Mit „Castle of Glass” hatte die Band im Frühjahr 2013 die Charts erobert. „Experimentell, poetisch, atmosphärisch”, beschreiben die Kritiker den Song. Zur Stimme von Chester Bennington erwacht Gina-Marie. Zwei Monate nach dem Unfall. Sie erinnert sich an nichts, auch nicht an den Unfall selbst. Sie hat Glück: In der Rehaklinik zeigen sich erste Erfolge. Sie lernt wieder laufen, sprechen und schreiben. Und essen. Ihr erstes Nutellabrot landet im Gesicht anstatt im Mund. Sie lacht. Die Fortschritte werden immer deutlicher. Sie hat viel Geduld mit sich. Irgendwann beim Matheunterricht im Krankenhaus ruft sie: „Ich will mit Psi rechnen.” Jetzt wird klar: Sie ist fast genesen. Acht Monate dauerte ihr Aufenthalt in Gailingen am Hochrhein. Irgendwann in der Zeit kann sie auch wieder mit Freunden kommunizieren. Sie setzt Posts in ihrem Facebook-Account ab Der Weg dahin war nicht gradlinig. Im sozialen Bereich war sie schon richtig, das wusste sie. Sie sammelte Erfahrungen. Bei einem Praktikum in der Ferienbetreuung stellte sie fest, dass es mit Kindererziehung gar nicht ging. Auch das Krankenhaus war nicht ihr Ding. „Ich hörte in mich hinein, probierte weiter, und dann wusste ich, dass ich mit Erwachsenen arbeiten möchte. „Ich möchte den Bewohnern ein schönes Leben ermöglichen, sie unterstützen und mit ihnen lachen. Andere glücklich zu machen, macht mich glücklich.” Sie strahlt. „Ich möchte immer mein Bestes geben, ich lasse mich nicht vom Standard leiten.” Als Freigeist nimmt sie sich wahr. Leidenschaftlich gern geht sie auf Konzerte, tanzt mit Freunden, empfindet dabei eine starke Verbundenheit. An Gina- Maries Pinnwand hängen Dutzende von Bändern, die an ihrem Handgelenk waren, bis sie fast von selbst abfielen. Alles schöne Erinnerungen. Etwas oberhalb von ihrem linken Handgelenk trägt sie noch eine Erinnerung, eine dauerhafte: Das Datum 14.4.2013 hat sie sich stechen lassen, der Tag ihres Unfalls. Dazu das Logo der Band Linkin Park. „Das stützt mich, wenn ich es mal schwer habe”, sagt sie. (sdg) Schwerpunkt 45

Hier finden Sie Impulse für den Alltag