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Autonomie Stärken

gen in den Nervenzellen

gen in den Nervenzellen des Gehirns. Gegen diese These wird aus philosophischer Sicht, etwa von Jürgen Habermas, geltend gemacht, sie missachte, dass wir für das Verstehen menschlicher Lebensäußerungen (z.B. der Entscheidung für ein bestimmtes Handeln) andere Kategorien brauchen als für das Erklären physikalischer Vorgänge. Eine Denkweise, die die gesamte Wirklichkeit – also auch Phänomene wie Freiheit, Liebe, Hoffnung – nach dem Muster von mechanischen, naturhaften Vorgängen erklären wolle, greife zu kurz. Deshalb, so Habermas, können diese menschlichen Verständigungsprozesse (wie etwa das Bewusstsein: ich handle aus Freiheit) selbst nicht im Ganzen als „objektive“, physikalische Vorgänge, beschrieben werden. Aus diesem Grunde kann auch eine rein physikalische Sicht auf die Welt nur eine eingeschränkte Geltung beanspruchen. Die Philosophie spricht freilich hinsichtlich der Vorstellung von Autonomie nicht mit einer Stimme. Denn der zweite Einwand gegen das Vorhandensein von Autonomie kommt aus philosophischer Sicht. Aus dem Blickwinkel mancher Vertreter moderner Theorien des Menschseins, auch der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule wird eingewandt, Autonomie sei eine Illusion. Die Fremdbestimmung, die Ohnmacht gegenüber all den Zwängen sei in unserer Lebenswelt so groß, dass das Subjekt nicht wirklich Herr seiner ethischen Urteile sei. Je näher man nämlich an die Bestimmungsmöglichkeiten des erkennenden Bewusstseins oder des handelnden Subjekts gelange, umso zwielichtiger werde deren autonomer Zustand. Darauf ist zu erwidern, dass die Einschränkungen der Autonomie von den Vertretern einer Ethik der Autonomie durchaus wahrgenommen und nicht geleugnet werden. Ähnlich wie die Ethik aber an der Freiheit des Menschen festhält, obwohl diese durch viele Faktoren – Erbanlagen, Erziehung, Milieu u.a. – begrenzt ist, ähnlich ist auch die Autonomie begrenzt – und dennoch gegeben. Autonomie ist keine absolute Selbstbestimmung. Selbstbestimmung und Fremdbestimmung existieren niemals als reale Alternativen, sie treffen in unserem Bewusstsein dauernd aufeinander und relativieren sich gegenseitig. Der dritte Einwand kommt aus theologischer Sicht. Eine „autonome Ethik“, so sagen manche Theologen, missachte die notwendige Orientierung des Menschen an Gott („Theonomie“) und rechtfertige die gegen Gott gerichtete Selbstherrlichkeit des Menschen. Die Frage ist, ob hier nicht von vorneherein ein Gegensatz von Glaube und Vernunft vorausgesetzt wird, der sich dann auch in einem autoritätsfixierten Kirchen- und Gesellschaftsbild, in einer Absage an Partizipation und Mitverantwortung spiegelt. Zweifellos sind Glaube und Vernunft nicht einfach identisch. Aber heißt das, dass sich der Glaube im Gegensatz zur Vernunft profilieren muss? Kann er sich nicht ebenso gut als Vertiefung und Erweiterung der Vernunft auswirken? Der Philosoph Kant hat das besser verstanden als manche Theologen. Bei ihm wird Autonomie nicht durch Theonomie überboten, vielmehr ist Theonomie der Idealfall von Autonomie; die göttlichen Gebote können als Idealfall des moralischen Gesetzes gedacht werden. Insofern ist der Gedanke der Autonomie, auch wenn er in der Neuzeit vorrangig von Philosophen vorgetragen wurde, der christlichen Ethik nicht fremd. Sie will die in Gottes Schöpfung angelegte Ordnung der menschlichen Lebensbereiche mit Hilfe der Vernunft gestalten. Auch die Botschaft Jesu bedeutet Ermunterung zur Freiheit. „Autonome Moral“ ist also ein ethischer Ansatz, der die Moral denkt von der Freiheit und Eigenverantwortlichkeit des Menschen her. Die Bindung des Menschen an das Gute kann demnach nur auf Grund einer Selbstbindung der menschlichen Freiheit geschehen. Eine solche Selbstbindung ist an die eigene Einsicht gebunden, die der ethischen Reflexionsweise bedarf. (5) Autonomie zwischen Vernunft und Beziehung Angesichts der fehlenden Überzeugungskraft der besprochenen Einwände ist die Frage also offensichtlich nicht, ob der Ansatz bei der Autonomie des Menschen ein gültiger Ansatz der Ethik ist, sondern eher, ob er der einzig mögliche Ansatz ist. Auch wenn sich die von der Aufklärung bestimmte neuzeitliche Ethik weitestgehend auf Kant und seine mit dem Autonomiegedanken verbundene Begründung der Ethik stützt, dürfen wir die Schattenseiten der aufgeklärten Vernunft nicht übersehen. Sie 20 21

zwingen uns, eine Grundlegung der Ethik aus anderen Ansätzen heraus zu prüfen. 1. Herkömmliche Dominanz des Merkmals „Vernunft“ für die Ethik Kant unterscheidet zwischen „vernunftlosen Wesen“, die „Sachen“ heißen und als Mittel „nur einen relativen Wert haben“, und „vernünftigen Wesen“, die „Personen genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst (…) auszeichnet“. Damit gibt er eine Grundlegung der Moral vor, die jedoch bei näherer Betrachtung nicht hinreicht. Zum einen, weil der Status der Tiere so nicht eindeutig geklärt werden kann, zum andern, weil der Status der Person bei strenger Auslegung Kleinkindern, geistig behinderten oder dementen Menschen nicht zukommt. Zwar hat Kant sie dennoch in seine Ethik integriert aus der Überzeugung heraus, dass mit dem Menschsein das Personsein gegeben sei. Doch zeigt die inzwischen heftig entbrannte Diskussion um die Frage, ob der Personstatus eines Lebewesens sich allein auf den Vernunftbesitz gründe, die Gefahr einer Engführung. Als Beispiel einer solchen Engführung lässt sich die Argumentation des australisch-amerikanischen Ethikers Peter Singer anführen. „Personen“ sind für Singer nur Lebewesen, die aktuell Rationalität und Selbstbewusstsein besitzen. Und nur diese dürfen, weil sie Präferenzen äußern können, nicht getötet werden. Den Besitz der Vernunft (Rationalität, Selbstbewusstsein) als dominantes Merkmal des Menschseins zu bezeichnen und mit Autonomie zu identifizieren, wie es Singer tut, hat eine lange Tradition. Die Formel vom Menschen als „animal rationale“ (Lebewesen, das mit Vernunft begabt ist) ist eine der ältesten und zugleich wirkmächtigsten Bestimmungen des Menschseins. Sie geht schon auf die klassische griechische Philosophie zurück. Allerdings findet sich bei Aristoteles als Charakteristik des Menschen neben dem Prädikat „zoon logon echon“ (Lebewesen, das Vernunft besitzt) gleichrangig und im selben Atemzug das Prädikat „zoon politikon“ (Lebewesen, das gesellschaftlich lebt). Man kann daraus folgern, dass wesentlich für den Menschen neben der Vernunft auch das Soziale ist, das „In der Gemeinschaft leben“, noch allgemeiner: das „In Beziehungen leben“. 2. Der Ansatz beim „dialogischen Prinzip“ (Martin Buber) In den philosophischen Strömungen des 20. Jahrhunderts kam es zu Neuansätzen, die auch für die Ethik den Akzent auf das „Leben in Beziehung“ setzten. Hier ist zunächst der 1878 in Wien geborene, 1938 nach Jerusalem emigrierte und 1965 dort gestorbene jüdische Philosoph Martin Buber zu nennen. Von Kant und Nietzsche beeinflusst, sieht er sich im Gegensatz zu Descartes, dessen Ausgang vom „Ich“ die Welt als Subjekt-Objekt-Verhältnis deutet. Im Zentrum von Bubers philosophischem Denken steht hingegen die Wirklichkeit der Beziehung zum anderen Menschen, kurz: „das Zwischenmenschliche“ oder „das Dialogische“. „Nicht durch ein Verhältnis zu seinem Selbst, sondern nur durch ein Verhältnis zu einem anderen Selbst kann der Mensch ganz werden“, sagt Buber. „Dieses andere Selbst mag ebenso begrenzt und bedingt sein wie er, im Miteinander wird Unbegrenztes und Unbedingtes erfahren.“ Bubers philosophisches Hauptwerk „Ich und Du“ entfaltet diese Grundlinien für das „Verhältnis des Zwischen“. Gleich zu Beginn werden hier zwei „Grundworte“ unterschieden, die der Menschen sprechen kann: „Ich - Du“ und „Ich - Es“. Sie benennen die beiden Grundhaltungen des Menschen gegenüber der Welt. Dabei bezeichnet das Grundwort „Ich - Du“ eine „Beziehung“, das Grundwort „Ich - Es“ hingegen ein „Verhältnis“. Die Beziehung von Ich und Du meint den Punkt, an dem sich zwei Menschen wirklich begegnen. Dieser Gedanke ist der Hauptaspekt von Bubers Schaffen. Der Mensch ist auf ein Du hin ausgerichtet und kann erst in der Begegnung mit dem Gegenüber zu sich selbst, zum Ich, finden: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Autonomie erwächst also für Buber – anders als für Kant – nicht nur aus der Vernunft, sondern auch aus der Vertrauensbeziehung. Ohne Zweifel ist die Autonomie, die ein Mensch gewinnt, oft bewirkt durch das Vertrauen, das er zu Anderen hat und das Andere zu ihm haben. Autonomie ist nicht nur bedingt dadurch, dass wir uns von der Vernunft leiten lassen, die den Anderen als Selbstzweck anerkennt; sie hängt auch ab von Beziehungsstärke und Ichstärke, von der Wertschätzung der Anderen und vom Selbstwertgefühl, vom Vertrauen in Andere und vom Selbstvertrauen. Dies 22 23

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