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Anstifter 3, 2018 der Stiftung Liebenau

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Der Anstifter ist die Hauszeitschrift der Stiftung Liebenau mit Themen aus den Bereichen Bildung, Familie, Gesundheit, Lebensräume, Pflege, Service und Teilhabe.

Stiftung Liebenau Eine Aufmerksamkeit von Prälat Michael H. F. Brock Wahrnehmungen. Er läuft nicht mehr so schnell wie früher. Er versucht, es zu vertuschen. Doch ich nehme wahr: Es ist sein linkes Bein, das er ein wenig nachzieht. Geschickt bleibt er für einen Augenblick stehen. Sein rechter Fuß nimmt Anlauf und setzt sich parallel, doch leicht vor den lädierten Fuß. Dann zieht er das linke Bein nach. Kaum wahrnehmbar, wie er dabei die Augen zukneift und sich ein wenig auf die Lippen beißt. Er hat Schmerzen. Heimlich übt er. Er stellt seine Füße parallel. Kreist fast unmerklich mit der Hüfte. Er sucht ein Gefühl von Sicherheit zurückzubekommen. Wenn er sich unbeobachtet glaubt, krümmt sich sein Rücken ein wenig. Ob er kleiner geworden ist in den letzten Jahren? Ein wenig, scheint mir. Immer häufiger lässt er sich einen Bart stehen. Versucht er, die Falten um die Mundwinkel zu vertuschen? Er sieht strenger aus mit den Falten. Seine Augen sind kleiner geworden auf jeden Fall. Immer häufiger entzündet. Und seine Hände zittern. Nicht immer. Aber wenn er sich beobachtet glaubt. Ich versuche, ihm ein Gefühl von Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn er es mit Neugierde verwechselt, wird sein Zittern mehr. Wir sollten sterbenden Menschen nicht mit Neugierde begegnen. Mit Aufmerksamkeit, ja. Aber niemals neugierig. Immer häufiger scheint sein Blick an einem Punkt des Horizontes zu verweilen. Dann sitzt er, wie erstarrt, in seinem Sessel. Sein Blick geht weit. Was er wohl sieht, dort in der Ferne? Er trägt seine Brille gar nicht. Kann er sehen ohne Brille? Er schaue in sich hinein, hat er einmal gesagt, als er bemerkte, wie ich ihn beim Blicken beobachtete. Ob er nochmal einen Brief schreiben würde, habe ich ihn gefragt. Einen richtigen Brief meinte ich. Einen auf Papier mit Füller geschrieben und seinen Gedanken. Seine Gedanken passen in keine WhatsApp-Nachricht. Mit einem Smiley sind seine Gedanken nicht zu beschreiben. Bei ihm sind die Wälder meist blau und die Sternenzauberfee existiert in seinen Gedanken noch lebendig. Ob er noch Geschichten erzählen wird? Oder beginnt jetzt sein Schweigen? Er habe, so erzählte er mir eben, in den Augen seiner Pflegerin eine Träne entdeckt. Heute Morgen kurz nach Dienstbeginn. Er habe ihre Hand für Sekunden länger gehalten als üblich, hat er gesagt. Ob sie es bemerkt haben würde, fragte er mich. Er hätte sie wahrgenommen, meinte er, die Träne. Du bist aufmerksam, sagte ich leise. Er liebt Suppe, aber er isst keine Suppe mehr. Es wäre ihm peinlich, wie er sie ständig verschüttet. Und er liebt saubere Hemden. Ob ich ihm einen Löffel reichen würde, wenn es keiner sieht, fragte er. Ich sagte kein Wort. Ich reichte ihm einen Löffel Suppe. Gut, dass ich noch vorbeigekommen bin, dachte ich. Wir schreiben uns ja täglich auf Whats- App. Aber wie sich seine Hand anfühlt, kann kein Smiley vermitteln. Er werde nochmal einen richtigen Brief schreiben, versprach er. 4 anstifter 3 | 2018

Stiftung Liebenau Im Parallelstil ganz nach oben Aufsichtsrat Franz Steinle bringt Werte ein Ein wirklich guter Nordischer Kombinierer war Franz Steinle nicht. „Man beginnt klein und arbeitet sich langsam hoch“, sagt er über die Bewältigung der Angst vor den Schanzentischen der Schwäbischen Alb. Für eine Laufbahn als Leistungssportler hat es dem gebürtigen Wiesensteiger nicht ganz gereicht. Die großen Sprünge hat er sich für die berufliche Karriere aufgehoben. Genau genommen sind es zwei Karrieren, die er, wie es sich für einen gelernten Skispringer dieser Zeit gehört, im Parallelstil absolviert hat. Während der ehemalige Leiter des Oberlandesgerichts Stuttgart inzwischen im Ruhestand ist, hat der Präsident des Deutschen Skiverbandes (DSV) endlich mehr Zeit für die Verbandsangelegenheiten. „Als ich 30 war, habe ich mir gedacht, wenn du mal im Ruhestand bist, dann hast du alle Zeit der Welt“, erinnert sich Franz Steinle. Über die Prognose seines jüngeren Ichs muss er heute schmunzeln. Seit er vor gut einem Jahr als Leiter des Oberlandesgerichts in Stuttgart verabschiedet wurde, sind keine nennenswerten Freiräume in seinem Terminkalender entstanden. Als Präsident des DSV ist er für den Leistungssport verantwortlich, kümmert sich um Regelwerke, Antidopingarbeit oder die Vertragsgestaltung mit Sponsoren und TV-Sendern. Gleichzeitig hängt an der Präsidentschaft eine umfangreiche Gremienarbeit, die der Richter Steinle neben dem Hauptberuf nicht immer bewältigen konnte. „Jetzt geht es zeitlich aber wieder und das wissen auch die Kollegen“, sagt er. Bei aller Gremien-Erfahrung, auf nationalem und internationalem Parkett ist das Aufsichtsratsmandat in der Stiftung Liebenau trotzdem noch etwas Besonderes für Franz Steinle. „Schon in der Zusammensetzung spiegelt sich die große Bandbreite der Themen. Wir haben die verschiedensten Professionen und es macht große Freude, mit diesen Leuten gemeinsam zu diskutieren und Lösungen zu erarbeiten.“ Seit 2005 ist Steinle dabei, damals war er im Hauptberuf noch Leiter des Landgerichts in Ravensburg. Im gleichen Jahr wagte er auch den nächsten großen Schritt als Sportfunktionär und wurde zum Vizepräsidenten des DSV gewählt. Thematische Schnittmengen scheint es zwischen diesen verschiedenen Professionen auf den ersten Blick kaum zu geben. Die braucht es aber auch nicht zwingend, denn für Franz Steinle ist die Haltung entscheidend, mit der man die Aufgaben angeht. „Es ist mir ein großes Anliegen, die notwendigen Werte einzubringen. Das ist im Sport genauso elementar wie in allen anderen Bereichen des Lebens.“ Die Nähe zum Sport hält Franz Steinle übrigens nicht nur qua Funktion. „Mir ist wichtig, dass ich selber noch vier bis fünf Mal in der Woche Sport treibe. Das kann dann auch mal spontan zwischen zwei Terminen sein.“ So ist die Sporttasche ständiger Begleiter auf seinen Dienstfahrten. Dass es davon auch in Zukunft nicht weniger geben könnte, offenbart sein nächstes Ziel. Kürzlich wurde er in den Vorstand der Internationalen Biathlon-Union gewählt. „Da besteht die Notwendigkeit, Dinge neu zu strukturieren und auf Vordermann zu bringen“, sagt Franz Steinle. Zumindest einen großen Sprung hat er sich also noch aufgehoben, und wer die Karrieren Steinles verfolgt, der ahnt, dass es nicht der letzte sein muss. (dk) anstifter 3 | 2018 5

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