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Anstifter 3, 2015 der Stiftung Liebenau

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Der Anstifter ist die Hauszeitschrift der Stiftung Liebenau mit Themen aus den Bereichen Altenhilfe, Behindertenhilfe, Bildung, Gesundheit, Familie und Dienstleistungen.

„Keiner kann allein

„Keiner kann allein die Welt retten“ Aufsichtsrat Matthäus Karrer im Gespräch Die Fragen stellte Helga Raible LIEBENAU – Matthäus Karrer war Jugendpfarrer in Ravensburg und Friedrichshafen, Stadtpfarrer von Isny, Dekan des Dekanats Allgäu-Oberschwaben und ist seit 2011 Domkapitular im Bischöflichen Ordinariat der Diözese Rottenburg- Stuttgart. 2009 wurde er als Mitglied in den Aufsichtsrat der Stiftung Liebenau gewählt. Für den Anstifter hat er mit Helga Raible über seinen Auftrag, seine Arbeitsweise und seine Rolle im Aufsichtsrat gesprochen. Herr Karrer, was genau macht eigentlich ein Domkapitular? Matthäus Karrer: Domkapitulare waren früher verantwortlich für die Liturgie an der Domkirche. Heute hat sich das Aufgabenfeld erweitert. Wir sind viel unterwegs in der Diözese, vertreten den Bischof bei Firmungen, bei repräsentativen und liturgischen Aufgaben. Außerdem ist jeder Domkapitular – in der Diözese Rottenburg-Stuttgart sind es acht, einschließlich der Weihbischöfe und des Generalvikars – Leiter einer Hauptabteilung. Insgesamt gibt es in unserer Diözese 16 Hauptabteilungen, die in ihrer Struktur vergleichbar sind etwa mit Ministerien. Ihre Themen reichen von Fragen der Liturgie, Glaubensfragen, Caritas über Ausbildung pastoraler Berufe, Schulen, Bauen bis zu Personal, Finanzen, Öffentlichkeitsarbeit. Eine Hauptabteilung übt auch die Aufsicht über die kirchlichen Stiftungen aus. Sie sind Leiter der Hauptabteilung Pastorale Konzeption. Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich? Ich sehe die Abteilung wie einen „Think-Tank“, eine „Denkfabrik“. Sie kümmert sich weniger um operative Abläufe als vielmehr um grundsätzliche Fragen der Seelsorge. Wir analysieren gesellschaftliche Entwicklungen, suchen nach konzeptionellen Antworten. Zum Beispiel beim Thema Zuwanderung: In Stuttgart steuert der Anteil der Katholiken mit Migrationshintergrund auf 50 Prozent zu. Das wird die bisher eher bürgerlich geprägte Stadtkirche verändern. Andere Beispiele für gesellschaftliche Veränderungen sind etwa die demografische Entwicklung und die zunehmende Mobilität. Solche Veränderungsprozesse möchten wir begleiten und Zukunftsperspektiven aufzeigen. Wie geschieht das konkret? Entscheidend ist, dass wir uns nicht als erstes über strukturelle Veränderungen Gedanken machen, sondern über die Inhalte, unsere Haltung und unsere Botschaft. Der Entwicklungsprozess „Kirche am Ort – Kirche an vielen Orten gestalten“ in der Diözese will das aufgreifen. Innerhalb der nächsten Jahre wollen wir gemeinsam in den Gemeinden neue Impulse setzen – der Schwerpunkt liegt dabei tatsächlich auf dem gemeinsamen Entwicklungsprozess, auf dem Dialog, der Vernetzung. Die Kirche muss mehr „nach draußen“. Da können wir von den Trägern aus dem sozialen Bereich lernen, die strukturell stärker im Gemeinwesen vernetzt sind. Vernetzung – das ist ein Thema, das Sie in Ihrer Laufbahn begleitet. Das stimmt. Schon als Jugendpfarrer habe ich gelernt: Ich kann nicht alles selbst machen. Wir haben damals ein starkes Netzwerk geknüpft, mit dem Jugendhilfeausschuss, dem Kreisjugendring, mit anderen Trägern. So ist zum Beispiel die Kinderferienbetreuung im Hegenberg entstanden. Diese Art zu arbeiten hat mich stark geprägt. In Isny wurden Sie dann zum Altenhilfe-Fachmann. Ganz gegen den allgemeinen Trend hat die Kirchengemeinde dort ihre Trägerschaft für Altenpflegeheime nicht abgegeben. Wie kam es dazu? Abgeben oder neu bauen – das war damals die Frage. Wir haben dann eine Zukunftswerkstatt veranstaltet mit dem klaren Ergebnis: Wir bleiben Betreiber, bleiben in der Verantwortung. Aber wir wollten keine 10 Stiftung Liebenau

auch hier eingeführt: direkte Kommunikation, flache Hierarchien, Teamstrukturen über Abteilungsgrenzen hinweg, neue Wege gehen. „Die Kirche muss nach draußen!“: Domkapitular Matthäus Karrer in seinem Büro in Rottenburg. Foto: Raible „Satellitenbetriebe“ schaffen, sondern vernetzte Einrichtungen. Daraus ist zum Beispiel ein Ehrenamtlichen-Netzwerk entstanden, Betreute Wohnungen, eine Kooperation mit dem Kindergarten. Letztlich ist daraus auch der Aufschlag für den Stadtseniorenrat erfolgt. War die Stiftung Liebenau, die dort ebenfalls ein neues Heim baute, also ein Konkurrent? Das hat man vielleicht am Anfang so gesehen. Aber in Isny ist es gelungen, dass alle drei kirchlichen Träger – die Katholische Kirchengemeinde, die Stiftung Liebenau und die Evangelische Heimstiftung – eng zusammengerückt sind. Konnten Sie denn diese kooperative Arbeitsweise beim Wechsel in die Verwaltung mitnehmen? Die Frage ist berechtigt, in so einer Verwaltungsstruktur läuft ja vieles anders als in der Arbeit vor Ort. Mich hatte die Berufung zunächst auch überrascht, da ich mit 43 Jahren auch vergleichsweise jung für diese Position war. Aber tatsächlich kam es dem Bischof gerade darauf an, Leitungskräfte mit unterschiedlichem inhaltlichen Hintergrund, vor allem aus der praktischen Arbeit, hinzuzuziehen. Das hat mich ermutigt und ich habe meine Arbeitsweise Neue Wege gehen, Grenzen überwinden, Brücken bauen: Hat das auch etwas mit Ihrer Tätigkeit im Aufsichtsrat der Stiftung Liebenau zu tun? Das war zu Beginn sicher nicht unwichtig. Nach der rechtlichen Klärung über den kirchlichen Status der Stiftung musste ja in der Beziehung zur Diözese ein Neuanfang gefunden werden. Ich kannte die Stiftung bereits und fand die Aufgabe hochspannend. Wichtig ist mir: Die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat ist ein persönliches Mandat, ich bin nicht als Vertreter der Diözese dort. Allenfalls als Brückenbauer zur kirchlichen Aufsicht. Spannend finde ich auch, Verbindungen auf fachlicher Ebene zu knüpfen, zum Beispiel beim Thema Ehrenamt. Ich denke, wir haben inzwischen einen guten Weg miteinander gefunden. Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Was werden die wichtigsten Themen für die Stiftung? Die Inklusion wird sicher zur größten Herausforderung im Kerngeschäft. Diese wird alle großen Träger verändern. Und es wäre ein großer Irrtum der Politik zu meinen, dass Inklusion ein Geldsparmodell ist. In der Altenhilfe wird der stationäre Bereich an die Grenzen der Finanzierbarkeit kommen. Wir werden hier Mischformen – stationäre, ambulante, bürgerschaftliche Hilfen – brauchen. Auf diesem Feld war und ist die Stiftung ja Trendsetter. Berufsbildung, Nachwuchsgewinnung – das sind noch einige wichtige Themen mehr. Entscheidend ist, dass die Stiftung eine gute Balance hält zwischen Wachstum und Konzentration auf ihre Kernkompetenzen, dass sie sich immer wieder die Frage stellt, ob etwas zu ihrer Identität passt. Nötig ist, sich zu fokussieren, Prioritäten zu setzen. Keiner kann allein die Welt retten. Und die Stiftung ist wirtschaftlich und fachlich so stabil, dass sie nicht auf jeden Zug aufspringen muss. Stiftung Liebenau 11

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