Schwerpunkt Wir sind Lernende Was die Stiftung Liebenau dem Personalmangel entgegensetzt Zum Ethikkodex der Stiftung Liebenau Die Arbeitswelt ist seit geraumer Zeit aus verschiedenen Gründen im Wandel. Personalgewinnung ist das wichtigste Thema überhaupt. Auch für die Stiftung Liebenau steht sie neben der Personalbindung an erster Stelle. Im Bereich der Altenpflege und Teilhabe geht sie seit rund drei Jahren einen Weg, der mittlerweile Früchte trägt: Sie unterstützt Deutschunterricht für zukünftige Pflegefachkräfte in Indien und für künftige Auszubildende von den Philippinen, die danach in Einrichtungen der Stiftung Liebenau arbeiten werden. Frank Moscherosch initiierte und leitet den Bereich International Training & Recruiting von der ersten Stunde an. Im Interview berichtet er vom Beginn des Projektes und gibt einen Ausblick auf die Zukunft dieses Weges der Personalgewinnung und schildert seine persönlichen Erfahrungen. Das Interview führte Susanne Droste-Gräff. 12 anstifter 2 | 2023
Schwerpunkt Wie kamen Sie auf den Gedanken, dass Arbeitskräfte aus Drittstaaten den Personalmangel in der Stiftung Liebenau abfedern könnten? Ich habe mich 2015, ausgelöst durch die Flüchtlingsströme aus Syrien, intensiv mit dem Thema Migration, Geopolitik und demografische Entwicklung beschäftigt. Dass Deutschland eine alternde Nation ist, wurde mir dabei noch einmal sehr deutlich (Durchschnittsalter Deutschland 2022 44,7 Jahre). Im Gegensatz zu uns wächst die afrikanische Bevölkerung zum Beispiel überproportional. Die Frage, die sich die Stiftung Liebenau stellte, war, unter welchen Rahmenbedingungen eine Beschäftigung von Menschen aus Drittstaaten bei uns stattfinden muss, um eine nachhaltige Bindungswirkung zu entfalten. Eine Wiederholung der Form von Gastarbeit, die vor über 60 Jahren in Deutschland stattgefunden hat, ist keine Lösung. Wie sind Sie vorgegangen? Was war der Stiftung Liebenau wichtig? Wir haben zu Beginn viele Gespräche mit Vermittlungsagenturen geführt. Dann war für uns klar: Den Menschen, die international zu uns kommen und bei uns arbeiten, muss der Weg zu uns schuldenfrei ermöglicht werden. Auch dürfen in den Heimatländern keine eigene Personallücken entstehen, die letztlich zu gesellschaftlichen Verwerfungen in den jeweiligen Ländern führen können. Diese „modernen Formen des Menschenhandels“ passen nicht zur Stiftung Liebenau. Wir haben also zuallererst einen Ethikkodex aufgesetzt, der bis heute unser Fundament ist. Wie ging es dann konkret weiter? Damit Menschen sich in ein fremdes Land integrieren können, sind Sprachkenntnisse das A und O. Mit Unterstützung von Kooperationspartnern haben wir begonnen Deutschunterricht anzubieten. Über die katholische Kirche und einen Verein aus dem Bodenseeraum haben wir schließlich den Anfang gemacht. In Indien organisierten wir Frank Moscherosch, leitet das International Training & Recruting der Stiftung Liebenau. Deutschunterricht für Pflegefachkräfte und auf den Philippinen lernten junge Menschen mit College-Abschluss die deutsche Sprache, um anschließend bei uns eine Ausbildung zur Pflegefachkraft und künftig auch in anderen Berufen der Stiftung Liebenau zu machen. Was waren, beziehungsweise sind, die größten Hürden bei der Beschäftigung dieser Mitarbeitenden? Die Anerkennungsverfahren in Deutschland sind sehr komplex, vor allem für die Fachkräfte. Viele Prozesse sind nicht digitalisiert, Zeugnisse müssen übersetzt werden. Visa, Berufs- und Schulan- erkennungen müssen initiiert werden. Das braucht Zeit – oft zu viel Zeit. Meist stellt das Regierungspräsidium Defizite fest, die allerdings mit einer Prüfung behoben werden können (siehe unten) Solange können zum Beispiel die Inderinnen als Mitarbeitende in der Pflege eingesetzt werden. Welche Rolle spielen kulturelle Unterschiede? Aktuell beschäftigt die Stiftung Liebenau Menschen aus rund 90 Natio- Zertifizierter Lehrgang für Fachkräfte aus Drittstaaten Die Stiftung Liebenau hat einen Lehrgang für Pflegekräfte aus nicht europäischen Ländern entwickelt. 29 Teilnehmerinnen haben ihn absolviert oder sind noch dabei. Der Hintergrund: In der Regel erhalten Fachkräfte aus Drittstaaten bei der Anerkennung ihrer Ausbildung einen so genannten Defizitbescheid. Dieser kann durch eine mehrmonatige zertifizierte Anpassungsmaßnahme oder eine Kenntnisprüfung ausgeglichen werden. Der neue Lehrgang ist nach AZAV-zertifiziert (AZAV= Akkreditierungs- und nen. Interkulturelle Kompetenz zu ent- wickeln und das Bewusstsein für die Herausforderungen von Diversity zu schaffen, ist ein laufender Prozess, den wir professionell unterstützen. Eine wichtige Rolle spielen hierbei zum Beispiel die Praxisanleiterinnen, die für die Auszubildenden Bezugspersonen sind. Aber auch die Teams müssen begleitet werden. Wo steht die Stiftung Liebenau aktuell? Gibt es weitere Planungen? In der Trägerlandschaft sind wir führend und werden angefragt. Das RAL-Gütesiegel „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ beispielsweise, das wir 2022 erhalten haben, basiert an einigen Stellen auf unserem Ethikkodex. Dennoch sind wir immer noch Lernende. So haben wir festgestellt, dass die Bindungswirkung bei den Auszubildenden viel höher ist, sodass wir zunehmend die Ausbildung in den Fokus nehmen werden. Außerdem setzen wir auf das Netzwerk katholischer Ordensgemeinschaften . In Kenia und Ruanda starten wir mit einer Pilotgruppe aus fünf bis acht Personen. 2024 werden wir unsere Kontakte in Guatemala, Brasilien und Mexiko intensivieren. Zulassungsverordnung Arbeitsförderung) und ist einzigartig in der Region zwischen Bodensee und Stuttgart. „Viele Inhalte dienen der Auffrischung und Ergänzung von bereits vorhandenem Wissen, vieles ist auch neu für ausländische Pflegekräfte, zum Beispiel die Vorschriften zur Pflegedokumentation“, erklärt Carola Merk, Abteilungsleiterin für den Bereich Pflege und Betreuung am Berufsbildungswerk Adolf Aich der Stiftung Liebenau, das die Kurse anbietet. Wegen des großen Bedarfs wird es weitere Kurse geben. anstifter 2 | 2023 13
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