Schwerpunkt Verstehen ist leichter als sprechen Arbeiten fernab von zu Hause Kalt war es, als Florabel Zaragoza in Deutschland ankam. Bei der Landung des Flugzeugs sah sie den ersten Schnee ihres Lebens – ein unvergesslicher Eindruck. Mehr als 10 000 Kilometer hatte die junge Filipina zurückgelegt, um Pflegefachkraft zu werden. Hier ist vieles so anders: das Wetter, das Essen, die Kultur und vor allem die Sprache. Jedes Wort und jede Spielart der Grammatik will erarbeitet sein. Kommunikation in einer fremden Sprache ist enorm anspruchsvoll. Wenn Florabel Zaragoza den ganzen Tag Sprachunterricht hatte, dann ist sie am Ende erschöpfter als nach einem langen Arbeitstag. Dabei spricht sie bereits beeindruckend gut deutsch. Aber manchmal kommt ihr Redefluss ins Stocken. Dann sucht sie nach bestimmten Vokabeln, der passenden Grammatik und dem richtigen Satzbau. Denn die deutsche Sprache hat eine ganz andere Struktur als ihre Muttersprache. Ein einfaches Präfix zum Beispiel verleiht einem Verb plötzlich eine neue Bedeutung: laufen, weglaufen, zulaufen, verlaufen, entlaufen, unterlaufen – bei so vielen Varianten kann schon mal der Kopf schwirren. Und es gibt noch viele weitere komplizierte Details. Doppelte Herausforderung für Florabel Zaragoza: Ausbildung in fremder Sprache. „Übung macht den Meister“, sagt Florabel Zaragoza zuversichtlich und lächelt. Sie vermisst zwar ihre Eltern und ihre drei Geschwister. Aber ihre Entscheidung, eine Pflegeausbildung bei der Stiftung Liebenau zu machen, hat sie noch nie bereut. In Zusammenarbeit mit der Hilfsorganisation Kressbronn-Toril Education Programm (KTEP) eröffnet die Stiftung Liebenau jungen Filipinos neue berufliche Perspektiven. „Es ist eine große Chance“, erklärt die 27-Jährige, die früher als Kassiererin in einem Einkaufszentrum gearbeitet hat. Diesen Job hat sie gekündigt und zunächst in ihrer Heimat über ein Jahr lang intensiv Deutsch gelernt. Seit Dezember 2020 lebt sie mit neun jungen Landsleuten in einem Wohnheim in Kressbronn. Hier setzt sie noch eine Weile ihre Sprachkurse fort, während parallel dazu bereits ihre Berufsausbildung im Pflegeheim St. Johann in Tettnang begonnen hat. Die Kommunikation mit alten Menschen wird hier durch den oberschwäbischen Dialekt zusätzlich erschwert. „Das ist für mich eine große Herausforderung“, erzählt die 27-Jährige. Aber sie findet immer wieder Wege, um zurecht zu kommen. Manchmal bittet sie, das Gesagte auf Hochdeutsch zu wiederholen. Oft erklärt eine Kollegin, was gemeint ist. „Manchmal genügt auch ein Schlüsselwort, damit ich den Zusammenhang verstehe“, berichtet sie. Auch Empathie hilft ihr: „Wenn ich die alten Menschen kenne, kann ich überlegen, was sie brauchen und was sie mir deshalb sagen wollen.“ Ohnehin sei es viel leichter, etwas Gesagtes zu verstehen, als selbst etwas in die Worte zu fassen. Mimik und Gestik spielen ebenfalls eine Rolle. „Am Gesichtsausdruck kann ich erkennen, in welcher Gefühlslage sich jemand befindet“, sagt Florabel Zaragoza. „Das hilft bei der Verständigung.“ Auch viele Gesten wie zum Beispiel „Daumen hoch“ haben in beiden Ländern dieselbe Bedeutung. Ein intensiver Blickkontakt hingegen kann auf den Philippinen als Ausdruck von Aggression verstanden werden, während er hierzulande ein Zeichen für Höflichkeit und Interesse am Gespräch ist. Florabel Zaragoza unterhält sich gerne mit Menschen – auch in der für sie fremden Sprache – und möchte dauerhaft als Pflegefachkraft in Deutschland bleiben. „Es gefällt mir hier“, sagt sie und ist fest entschlossen, Ausbildung und Sprache zu meistern. (rue) 12 anstifter 2 | 2021
Stiftung Liebenau „Wo ist dein Lächeln geblieben?“ Wie der Mundschutz im Pflegealltag wirkt Rosaria Helfer, Wohnbereichsleiterin im St. Josefshaus in Gaißau. Auch für erfahrene Pflegekräfte wie Rosaria Helfer, Wohnbereichsleiterin im St. Josefshaus in Gaißau, ist das ständige Tragen einer Maske neu und im Kontakt mit den älteren Menschen unangenehm. „Wie erkläre ich einer Frau mit Demenz, dass sie mein Lächeln nicht mehr sehen darf?“, fragt sie. Ihre Erfahrung mit der Maske hat Rosaria Helfer beschrieben. „Ich kenn dich irgendwo her, deine Stimme kommt mir bekannt vor.“ Frau W. ist ratlos. Am 13. März 2020 galt auch für unsere Langzeiteinrichtung der Lockdown. Auch unsere Bewohner durften aufgrund der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen keine Besuche von Angehörigen mehr erhalten. Wir Pflegekräfte sind verpflichtet, Masken zu tragen, die Angst und Unsicherheit ist allgegenwärtig – bei den uns Anvertrauten, den Angehörigen und dem Personal. Der Sicherheitsleitfaden schreibt vor, den körperlichen, nahen Kontakt zu unseren betagten Bewohnern auf ein Minimum zu reduzieren. Frau W. schaut mich mit großen, traurigen Augen an und versteht nicht, warum sie mein Lächeln nicht mehr erkennt. Das Lächeln, das ihr in ihrer demenziellen Desorientierung bei jeder Pflegehandlung Sicherheit vermittelte. Das Lächeln, das ihr das Gefühl von Geborgenheit schenkte. Sie hat aufgrund ihrer fortgeschrittenen Demenz leider nicht immer die gleich gute Fähigkeit, mich an meiner Stimme zu identifizieren, geschweige denn, dass sie mich beim Namen kennt. Ich denke mir, sie erkennt mich an dem Gefühl, dass ich in ihr auszulösen vermag, ein Gefühl der Geborgenheit, ein Gefühl der Langsamkeit, das ihr eine kleine Chance gibt, Bruchteile zu verstehen. Mit jedem ihrer Blicke scheint sie zu fragen: „Wer hat dein Lächeln gestohlen?“ Es vergehen Wochen. Die angespannte Lage scheint kontrollierbar zu werden; seitens des Sicherheitsmaßnahmenpakets besteht weiterhin die Anordnung, diese Masken zu tragen. Und dann dieser eine Morgen: Fr. W. wird von mir geduscht. Ihr traurig suchender Blick nach dem „verlorenen Lächeln“. Sie nimmt meine Hand, führt diese zum Gesicht und schnuppert an meinem oft benutzten Parfüm. Es zerreißt mir das Herz, als sie mit Tränen in ihren Augen zu mir sagt: „Ich kenne dich, ich mag dich.“ Ich lege meine Maske mit Tränen in den Augen ab und nehme sie in meine Arme. Sie hält mich fest, so, als hätte sie gefunden, was ihr Wochen lang verloren gegangen schien. Ja, wir haben unser Lächeln wiedergefunden. (rh) Der Wiener Fotograf Christian Holzknecht fotografierte die Betreuungs- und Pflegekräfte sowie weitere Mitarbeiter des St. Josefshauses in Gaißau mit und ohne Mundschutz. Mehr unter: www.christianholzknecht.com/film/ anstifter 2 | 2021 13
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