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Anstifter 2, 2016 der Stiftung Liebenau

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Der Anstifter ist die Hauszeitschrift der Stiftung Liebenau mit Themen aus den Bereichen Altenhilfe, Behindertenhilfe, Bildung, Gesundheit, Familie und Dienstleistungen.

Mehr Teilhabe durch

Mehr Teilhabe durch Kommunikation Einander besser verstehen lernen durch Unterstützte Kommunikation von Christof Klaus und Anne Oschwald FRIEDRICHSHAFEN – Wutausbrüche, Aggressionen – Wenn Menschen mit Behinderung ein solches Verhalten zeigen, hat das oft einen ganz einfachen Grund: Sie fühlen sich von ihrem Gegenüber nicht richtig verstanden. Wo verbale Sprache an ihre Grenzen kommt, kann „Unterstützte Kommunikation“ helfen. „Einander verstehen lernen“ – so lautete dann auch das Motto eines gut besuchten Fachtages der St. Gallus-Hilfe im Kulturhaus „Caserne“ in Friedrichshafen. Moderator durch den Fachtag führte. Mittendrin zu sein – auch als Mensch mit Behinderung: Ebenso wie bei der St. Gallus-Hilfe sei dieses Thema auch im Bodenseekreis schon vor der Inklusionsdebatte auf die Agenda gebracht worden, erklärte Andreas Köster, Sozialbürgermeister der Stadt Friedrichshafen in seinem Grußwort. Zu einer gelingenden Kommunikation beitragen kann die sogenannte „Unterstützte Kommunikation“ (UK). Diese umfasst Hilfsmittel, Maßnahmen und Ansätze für Menschen, die sich nicht zufriedenstellend über die Lautsprache mitteilen können. Die St. Gallus-Hilfe hat dazu eigens eine entsprechende UK-Beratungsstelle eingerichtet und diesem Thema erneut einen Fachtag gewidmet. Mit Claudio Castaneda von der Lebenshilfe Köln stand dabei ein ausgewiesener Fachmann in Sachen Unterstützte Kommunikation auf der Bühne im Fallenbrunnen. Elke Schätzle (UK- Beraterin der St. Gallus-Hilfe) mit Claudio Castaneda (UK-Experte und Referent beim Fachtag) und Markus Wursthorn (Geschäftsleitung der St. Gallus- Hilfe) im Gespräch. Foto: Klaus „Als St. Gallus-Hilfe wollen wir einen tatkräftigen Beitrag leisten, damit Menschen mit Behinderung möglichst selbstbestimmt teilhaben können“, sagte Geschäftsführer Jörg Munk in seiner Begrüßung. Ein elementarer Bestandteil des menschlichen Miteinanders – und damit der Teilhabe – sei die Kommunikation. „Nicht verstanden werden oder sich dem anderen nicht mitteilen zu können – das löst Unzufriedenheit, Frust, Verbitterung, Depression und Ärger aus, was sehr schnell auch in Wut, Zorn und Aggression umschlagen kann“, betonte auch Markus Wursthorn (Geschäftsleitung St. Gallus-Hilfe), der als Menschen sind verschieden Vorab warnte Claudio Castaneda davor, alle Autisten über einen Kamm zu scheren. Personen mit einer solchen Störung könnten völlig unterschiedlich sein – und zwar „nicht weil sie Autisten sind, sondern weil sie Menschen sind“. Castaneda plädierte auch dafür, nicht alles durch die „Autismus-Brille“ zu sehen und jede Handlungsweise auf diese Störung zurückzuführen. Oft sei ein Verhalten auch schlicht durch die Biografie des jeweiligen Menschen zu erklären, durch prägende Erfahrungen wie zum Beispiel eine seit frühester Kindheit fehlende Geborgenheit und Zuneigung. Sowieso lege man bei Autisten zu sehr den Fokus auf die Beschreibung des Verhaltens, dabei gehe es eher um die Denkweise dahinter, ihre Wahrnehmungsverarbeitung der Welt. Welchen Beitrag kann die Unterstützte Kommunikation hier leisten? Castaneda zeigte, dass in der UK mit unterschiedlichsten Methoden und Symbolen gearbeitet werden kann. Abstrakte Symbole könnten zum Beispiel von Menschen mit Autismus genauso gut gelernt werden wie konkrete. Wer lernt, sie selbst einzusetzen, kann auch überfordernde Situati- 24 Menschen mit Behinderung

Über 200 Fachkräfte interessierten sich für den Fachtag zur Unterstützten Kommunikation für Menschen mit Autismus im Kulturhaus Caserne in Friedrichshafen- Fallenbrunnen. Foto: Oschwald onen durch die Kommunikation meistern. Werden bei der Umsetzung von UK die persönlichen Interessen, die eigene Bedeutsamkeit und die Motivation angesprochen, sei das Erlernen auch mit Spaß verbunden. Wie lernt man Kommunikation? PECS (Picture Exchange Communication System), ist ein verhaltenstherapeutischer Ansatz in der UK, nach dem eine Greif-Konditionierung erlernt werden soll. Nicht der gewünschte Gegenstand, sondern eine Karte, die für diesen steht, soll von der entsprechenden Person eingesetzt werden. Zu den dialogorientierten Ansätzen gehört die „intensive Interaktion“. „Wir zelebrieren gemeinsam das Verhalten“, so Castaneda. Zeichen für die gemeinsame Sprache werden von den Kommunikationspartnern gemeinsam entwickelt. Im Fokus stehe am Anfang nicht der Inhalt der Verständigung, sondern die Interaktion. Als Arbeitsmethode stellte Castaneda auch Alternativübersichten vor. Zunächst wird die Ursache des Problemverhaltens gesucht, dann das Verhalten selbst und die Konsequenzen beschrieben. Im nächsten Schritt folgt die Erarbeitung und Beschreibung alternativer Verhalten und alternativer Konsequenzen. Legt eine Person verschieden gelagerte Verhaltensauffälligkeiten an den Tag, können diese in einer Mappe dargestellt werden. Castaneda nennt sie ein „soziales Lexikon“. Eine seiner anschaulichen Ideen, die er mitbrachte, sind Erzählbücher. Menschen, die in ihrer Kommunikation beeinträchtigt sind, wenig kommunikative Erfahrung haben oder einen Mangel an Bildung besitzen, erlernen mit ihrer Hilfe das Erzählen von Geschichten. Kurze Sätze ergänzt mit einer Auswahl von reellen oder fantastischen Subjekten und Adjektiven in Symbolform helfen ihnen beim Aufbau. Im Video erzählte der lebhafte Timo mit Hilfe solch eines Buches fließend und freudestrahlend eine eigene Geschichte. Weitere Fachtagungen geplant Um Diskussionen anzustoßen, Fachwissen zu vermitteln und innovative Entwicklungen voranzutreiben, will die St. Gallus-Hilfe regelmäßig solche Veranstaltungen ausrichten. So kündigte Geschäftsführer Jörg Munk weitere Fachtagungen zu Themen rund um die UN-Behindertenrechtskonvention an. Dass man sich diesmal den Fallenbrunnen in Friedrichshafen als Tagungsort ausgewählt habe, sei kein Zufall: „Das hier ist ja auch ein Ort, der sich wandelt, der neue Wege geht, an dem spannende Entwicklungen stattfinden“, so Munk. „Und diese Symbolik passt recht gut zu den Entwicklungen innerhalb der Hilfen für Menschen mit Behinderung.“ Die Dokumentation zur Fachtagung ist zu finden unter www.st.gallus-hilfe.de Zur Person: Claudio Castaneda ist Sozialpädagoge. Seit 1998 arbeitet er mit Menschen mit Autismus verschiedener Altersstufen. Seit 2001 ist er Mitarbeiter der Lebenshilfe Köln. Im Jahr 2004 begann er die UK-Beratung und Praxisbegleitung für Mitarbeiter der Lebenshilfe. Für die Beratungsstelle UK & Autismus (BUKA) arbeitet er seit 2011. Die überregionale Beratungsstelle der St. Gallus-Hilfe informiert und berät auch externe Einrichtungen: Elke Schätzle, UK-Fachberaterin (ISAAC) Telefon: 07542 10-2402, elke.schaetzle@st.gallus-hilfe.de Menschen mit Behinderung 25

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