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Anstifter 2, 2014 der Stiftung Liebenau

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Der Anstifter ist die Hauszeitschrift der Stiftung Liebenau mit Themen aus den Bereichen Altenhilfe, Behindertenhilfe, Bildung, Gesundheit, Familie und Dienstleistungen.

Für eine Inklusion ohne

Für eine Inklusion ohne Verlierer Initiative setzt sich ein für die Schwächeren Die Fragen stellte Helga Raible LIEBENAU – Werden Menschen mit schweren geistigen und mehrfachen Behinderungen zu Verlierern der Inklusion? Diese Frage bewegt die Träger von so genannten Komplexeinrichtungen in Baden-Württemberg. Um die Interessen der von ihnen betreuten Menschen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken, haben sich zwölf Träger zum Landesverband „Die Initiative – Verband der Komplexeinrichtungen der Behindertenhilfe Baden- Württemberg e. V.“ zusammengeschlossen. Jörg Munk, Geschäftsführer der St. Gallus-Hilfe der Stiftung Liebenau ist einer der Vorstandssprecher des Verbands. Wir sprachen mit ihm über Hintergründe und Forderungen. oder an der blinden Sportlerin, die mit technischer Unterstützung Regelschule und Studium meistert. Die Menschen, die wir in unseren Einrichtungen betreuen, haben ganz andere Hilfebedarfe. Um ihnen eine angemessene Lebensqualität zu ermöglichen, braucht es oftmals eine Vielfalt aufeinander abgestimmter Hilfen – Hilfen, die wir an unseren Standorten in Liebenau, Hegenberg und Rosenharz derzeit am besten bieten können. Diese Standorte stehen aber in der fachlichen und politischen Kritik als vermeintliche Sonderwelten. Sie bekommen keine investive Förderung mehr und sind damit langfristig in ihrer Existenz bedroht. Verlierer sind dann letztlich die betroffenen Menschen. Inklusionsverlierer: Ein starker Begriff. Was meinen Sie damit? Was heute in Zusammenhang mit Inklusion diskutiert wird, orientiert sich an einem bestimmten Bild von Menschen mit Behinderung: zum Beispiel an dem Rollstuhlfahrer, der zur Teilhabe an der Gesellschaft auf entsprechende Baulichkeiten angewiesen ist, Inklusion muss auch die Schwächeren einschließen. Foto: Kästle Wie sieht denn die Lebenssituation der Betroffenen jetzt aus? Da ist zum Beispiel die junge Frau mit schwerer geistiger Behinderung und starken Spastiken, die in einem unserer Häuser in Liebenau lebt. Sie kann sich selbst überhaupt nicht bewegen und braucht rundum Hilfe: Waschen, Anziehen, Ernährung, Windelwechseln, Transport vom Spezialbett in den Spezialrollstuhl. Nachts muss sie regelmäßig gedreht werden zur Dekubitus-Prophylaxe. Tagsüber wird sie einige Stunden im Förderbereich nebenan betreut. Obwohl sie aktiv nichts tun kann, gibt ihr das Dabeisein Anregungen, visuelle, akustische, taktile Reize. Auch das bedeutet Teilhabe. Ihre Familie holt sie zwar oft übers Wochenende, aber für alle Beteiligten ist klar: Was ihr hier geboten wird, diese Kombination von fachlicher Pflege und Anregung in der Gemeinschaft, würde sie im familiären Rahmen nicht finden. Für einen anderen Bewohner heißt Lebensqualität, sich selbstständig auf dem vertrauten Hegenberger Gelände bewegen zu können, den Weg von der Wohnung zur Werkstatt allein gehen zu können – etwas, was er in einem städtischen Umfeld, wo er womöglich öffentliche Verkehrsmittel nutzen müsste, gar nicht allein schaffen könnte. 10 Stiftung Liebenau

Was ist nötig, um auch diesen Menschen die ihnen mögliche Teilhabe zu bieten? Wir meinen: So unterschiedlich wie die Menschen, so unterschiedlich müssen auch die Hilfestrukturen sein. Damit Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen auch morgen moderne, vielfältige, bedarfsgerechte Wohn-, Arbeits-, Bildungs- und Therapieangebote haben, muss die Politik einerseits ausreichend Mittel für Aufbau und Betrieb von personalintensiven Betreuungseinheiten in den Kommunen zur Verfügung stellen, wenn wir diese an den Zentralstandorten abbauen sollen. Gleichzeitig wünschen sich viele Menschen mit komplexen Behinderungen und ihre Angehörigen auch in Zukunft die Leistungen von modernen Spezialeinrichtungen an zentralen Standorten. Dort können abgestimmte Hilfearrangements ihnen Lebens- und Teilhabeperspektiven eröffnen und eine Chance zur Rehabilitation geben. Von Angehörigen wissen wir auch, dass sie Wert auf Durchlässigkeit der Angebote legen. So sollte es zum Beispiel möglich sein, dass jemand das Leben in der gemeindeintegrierten Wohngruppe ausprobieren kann, gegebenenfalls aber auch wieder zurückkehren kann in ein stärker geschütztes Umfeld. Woraus ergibt sich gerade jetzt der besondere Handlungsdruck? Die Zentralstandorte müssen dringend saniert und modernisiert werden, damit die Wohnhäuser den heutigen gesetzlichen Anforderungen genügen, zum Beispiel durch Umwandlung von Doppel- in Einzelzimmer und Änderung der Raumgrößen. Die Frist dafür läuft im Jahr 2019 aus, danach droht der Entzug bisheriger Heimbetriebsgenehmigungen. Was bedeuten würde, dass die Menschen an diesen Standorten ihre Heimat aufgeben müssten. Gleichzeitig ist aber diese Sanierung, Modernisierung oder gar Neubau in den erst kürzlich novellierten Investivförderrichtlinien des Landes Baden-Württemberg für Komplexeinrichtungen der Behindertenhilfe nicht mehr vorgesehen. Um hier ein Umdenken anzustoßen, haben sich die großen Träger, die zusammen rund 8700 Menschen betreuen, im Verband zusammengeschlossen. Was fordert der Verband konkret von der Politik? Zweierlei: Zum einen brauchen die Träger deutlich höhere Investitionsfördermittel. Derzeit stellt das Land freien Trägern der Behindertenhilfe rund 23 Mio. Euro jährlich zur Verfügung. Der Verband fordert eine Erhöhung auf rund 44 Mio. Euro jährlich. Außerdem soll die Übergangsfrist über das Jahr 2019 hinaus verlängert werden. Nur dann können die Träger die bisherigen Komplexstandorte nachhaltig und im Sinne der betroffenen Menschen umbauen. Wie errechnet sich dieser Bedarf? Im vergangenen Jahr haben alle Beteiligten im Land – die Träger der Behindertenhilfe, der Kommunalverband für Jugend und Soziales, die Verbände und die Landessozialpolitik – lange und eingehend diskutiert. Die jetzt vom Verband geforderten Mittelerhöhungen entsprechen dem Fördermittelbedarf, den sie dabei ermittelt haben. Das ist also kein Wunschkonzert der Träger, sondern ein einvernehmlich abgestimmter Bedarfsplan. Die Initiative – Verband der Komplexeinrichtungen der Behindertenhilfe Baden-Württemberg e. V. ist zum Jahreswechsel 2013/2014 von zwölf traditionsreichen Groß- und Komplexeinrichtungen der Behindertenhilfe in Baden-Württemberg gegründet worden. Der Verband nimmt die Interessen von Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen sowie der Träger von Komplexeinrichtungen gegenüber der Gesellschaft, der Politik und den anderen Verbänden wahr. www.dikbw.de • Die Zieglerschen • Stiftung Liebenau • Diakonie Kork • Diakonie Stetten • Evangelische Stiftung Lichtenstern • Johannes-Diakonie Mosbach • Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Lautenbach • LWV Eingliederungshilfe • Mariaberg • Sonnenhof • St. Josefshaus Herten • Stiftung Haus Lindenhof Stiftung Liebenau 11

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