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Anstifter 1, 2022 der Stiftung Liebenau Österreich

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Das Schwerpunkt Thema

Das Schwerpunkt Thema Schwerpunkt das und wird eifersüchtig, wenn ich mich mit einer anderen Graninger: Atmosphärisch oder auch assoziativ: Kerze bedeu­ Adler: Da kommt dann die strenge Schwester Erika – (lacht) Adler: Ich glaube, dass es die sinnstiftende Arbeit selbst ist, die Bewohnerin unterhalte. Unsere Aufgabe ist es, den jeweiligen tet Geburtstag oder Weihnachten bedeutet schöne Erinnerung nein, Spaß beiseite: Alle, die aufstehen können, wollen erfah­ Lebenslust vermittelt. Status Quo, das Hier und Jetzt anzuerkennen und wertschät­ an bereits Erlebtes bedeutet Befriedigung bedeutet Dankbar­ rungsgemäß auch aufstehen. Das hat mit dem Lebenswillen an zend darauf einzugehen. keit. Eine Kerze kann aber auch andere Assoziationen auslö­ sich, mit Gewohnheit und auch Neugierde zu tun… … vielleicht auch die Dankbarkeit, die einem entgegengebracht sen, auch negative. Da braucht es Biografiearbeit, um auf der wird? Ratheiser: Auch die Menschen mit Behinderungen leben meist sicheren Seite zu sein. Ratheiser: … oder mit Ritualen, etwa die tägliche Lust auf den Ratheiser: Ich will nicht, dass die Klientinnen und Klienten uns viel mehr im Hier und Jetzt, als wir das tun. Wir haben neulich Kaffee. Wenn jemand tatsächlich nicht aufstehen möchte, gegenüber dankbar sind. Für die eigene Motivation ist es bes­ zum Beispiel den 30. Geburtstag eines Klienten gefeiert. Er hat Adler: Bei uns lebt eine Bewohnerin, die gehörlos und blind haben wir es eventuell mit einer depressiven Verstimmung ser, sich kleinere oder größere Ziele zu setzen. sich unglaublich gefreut... ist. Wir halten den Kontakt zu ihr über das Tasten und Füh­ oder einer echten Depressi­ len beziehungsweise das Fingeralphabet. Sie weiß, wann sie on zu tun. Graninger: … und hat sich sicher keine Gedanken darüber Geburtstag hat; ihre Vorfreude ist spürbar. An ihrem Geburts­ gemacht, was er als nächstes tun sollte: Eine kleine Rede hal­ tag riecht sie an den Blumengeschenken und ist überglück­ Adler: Oder auch dem ein­ ten, den Kuchen anschneiden und verteilen… lich. Wir wissen auch, dass sie gerne Cola trinkt – das verrät setzenden Sterbeprozess. ihre Mimik. Mit genauem Beobachten und regelmäßigem Unsere Aufgabe ist es, her­ Ratheiser: … nein (lacht). Wir wissen auch nicht, was genau ihn Austausch im Team können wir unseren Bewohnerinnen und auszufinden, was der Grund jetzt so gefreut hat. Waren es die vielen Kerzen, die Menschen Bewohnern zu mehr Lebenslust verhelfen. für das Liegen-bleiben-wol­ drum herum, war es der Kuchen? Er hat das ja nicht zum ers­ len ist: Handelt es sich um ten Mal so erlebt. Ich denke, es ist das Gesamtpaket, vor allem Klingt einleuchtend. Aber wie motivieren Sie einen 95-jähri­ eine depressive Verstim­ auch das Zusammensein. Unsere Klientinnen und Klienten gen, pflegebedürftigen Menschen morgens aufzustehen, wenn mung, dann motivieren wir erleben vieles einfach atmosphärischer, analysieren nicht. er nicht will? zum Aufstehen. Geht es ans Sterben, ist es das gute Recht jedes Einzelnen, liegen bleiben zu dürfen. Graninger: Da muss ich an einen Bewohner denken, der alkoholabhängig ist und sich täglich Alkohol und Zigaretten Adler: Die Frage ist ja auch: Was bekomme ich denn zurück – im Supermarkt holt, beziehungsweise holen lässt. Trotz aufklä­ abgesehen von meinem Gehalt? Emotionen – aber eben nicht render Gespräche will er nicht von seinen Abhängigkeiten las­ nur positive, sondern auch negative wie Aggressionen oder Spott. sen, nicht auf das Trinken und Rauchen verzichten. Wir können Auch diese gehören zu unserer Arbeit und sollten uns motivieren. unsere Bewohnerinnen und Bewohner nur in ihrer eigenen Einmal stand ein Teller mit Gröstl vor der Bürotür, darunter Lebensgestaltung unterstützen oder Alternativen anbieten. Wir eine Serviette, auf der stand: „Diesen Fraß bekommen wir hier müssen hin und wieder die individuelle Entscheidung akzep­ zu essen!“ Es hilft, die Perspektive zu wechseln: In ihrem Zorn tieren, dass es für manche eben auch Lebenslust bedeutet, war die Bewohnerin nämlich sehr aktiv und kreativ. Das ist gut. ungesund zu leben. Ratheiser: Die Frage ist: Muss ich das Gröstl hinterfragen oder Wir haben bisher von der Lebenslust der Bewohnerinnen und haben wir nicht doch eher alles richtig gemacht? Solche Refra­ Bewohner gesprochen. Was braucht es, damit Pflege- und mings sollten in regelmäßigen Teambesprechungen stattfinden. Betreuungskräfte Lust auf ihre Arbeit haben? Ratheiser: Ich habe Freude an der Arbeit, weil ich Momente Adler: Tatsächlich hat das Gröstl den übrigen 17 Bewohnerin­ erleben darf, die vor Spontaneität strotzen. Sei es, weil sich nen und Bewohnern sehr wohl geschmeckt. Egal, ob ein Gröstl eine Mitarbeiterin spontan hat impfen lassen und sich das vor der Tür steht oder Corona: Wichtig ist, dass wir gemeinsam gesamte Team mit ihr und für sie freut. Sei es, weil Mitarbeiten­ Lösungen finden und unseren Humor behalten. de auf einem Ausflug kreativ wurden, beziehungsweise werden mussten, und damit Erfolg hatten. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Ratheiser, Herr Graninger und Herr Adler! Graninger: Die Motivation und Lust, in einem Pflegeheim zu arbeiten, trägt jede und jeder einzelne Mitarbeitende in sich. 6 anstifter ÖSTERREICH 1 | 2022 anstifter ÖSTERREICH 1 | 2022 7

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