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Anstifter 1, 2019 der Stiftung Liebenau

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Der Anstifter ist die Hauszeitschrift der Stiftung Liebenau mit Themen aus den Bereichen Bildung, Familie, Gesundheit, Pflege und Lebensräume, Service und Produkte sowie Teilhabe.

Schwerpunkt Der Tod

Schwerpunkt Der Tod vollendet das Leben Ein Gespräch mit Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt hat an der Universität zu Köln die Professur für Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung im Institut für Soziologie und Sozialpsychologie inne, ist Geschäftsführender Direktor des Seminars für Genossenschaften und Prodekan der Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Zudem ist er als Honorarprofessor für Sozialökonomie der Pflege an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar tätig. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen unter anderem in der interdisziplinären Alternsforschung im Schnittbereich zu Themen der integrierten Medizin, der sozialraumorientierten Pflegestrukturplanung und der Wohnformen im Alter sowie der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Formen bürgerschaftlichen Engagements. Im September 2018 hielt er den Festvortrag zum 20-jährigen Jubiläum des Stationären Hospizes der Stiftung Liebenau. Im Anstifter gibt Prof. Schulz-Nieswandt Einblick zu Entwicklungen der Hospizarbeit und zum Umgang mit dem Thema Tod. Herr Prof. Dr. Schulz-Nieswandt, was bedeutet der Tod für Sie? Haben Sie Angst vor ihm? Vor dem Tod nicht. Leiden kann der Mensch nur bis zum Tod. Aber die Unsicherheit über die Art des Sterbens kann beunruhigen. Auch ein zu frühes Sterben beunruhigt, wenn die Kinder zum Beispiel noch nicht groß sind oder man noch Ziele hat, die man erreichen möchte. Ansonsten ist der Tod der abschließende Höhepunkt des Lebens, die Vollendung: Dann habe ich geschafft, was ich zu schaffen fähig war. Zum Leben und sodann zur Endlichkeit – und dieses Wissen um die Endlichkeit macht den Menschen zum Menschen und unterscheidet ihn von allen anderen Lebewesen – gehört eine produktive, kreative Melancholie, die aber nicht in eine depressive Grundgestimmtheit umkippen darf. Man wird nur gut den Abgang hinbekommen, wenn man angemessen differenziert eine rekonstruktive Bilanz gezogen hat. Eigentlich sollte man den Tod der Mitmenschen sogar feiern, wie den Geburtstag: Dann würde sich der Kreis schließen. Hat sich das Verhältnis der Menschen zum Tod über die Jahrzehnte verändert? Ja, das, was wir aus der universalen und auch kulturvergleichenden Forschung wissen, indiziert große Unterschiede und auch Wandlungen. Aber leicht getan haben 12 anstifter 1 | 2019

Schwerpunkt Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt sprach beim 20-jährigen Jubiläum des Stationären Hospizes der Stiftung Liebenau. es sich die Menschen nie. Heute – in unserer Gesellschaft – hat das mögliche lange Alter die Situation verschoben. Die Abwesenheit von unmittelbar erfahrbaren Kriegen und Epidemien schiebt die Auseinandersetzung zeitlich nach hinten; tabuiert oder gar verdrängt haben wir den Tod aber nicht. Ich halte diese kulturkritische Selbstdiagnose für falsch. Das ganz hohe Alter wirft dann allerdings zivilisationsgeschichtlich völlig neuartige kulturelle – die Art und Weise der sozialen Gestaltung betreffende – Fragen nach dem Sterben, insbesondere nach dem letzten Jahr auf. Wenn Kinder sterben, ist alles nochmals ein völlig anderes Thema. Wie hat sich die Hospizarbeit in der Vergangenheit entwickelt? Die Hospizarbeit ist eine Antwort auf die Kultur des Sterbens. Sie zeigt aber auch, dass alles seine Zeit braucht. Kulturwandel ist kein technisches Change Management. Es kann nicht von jetzt auf gleich ein Schalter umgelegt werden. Und der Wandel ist noch längst nicht vollendet. Ein zentraler Aspekt der Entwicklung der Hospizarbeit ist die soziale Verantwortung: Wenn einsames Sterben nicht zum Standard werden soll, sind "Caring Communities" gefragt. Zudem muss jeder Einzelne auch personale Selbstverantwortung übernehmen und das Sterben können (akzeptieren) lernen. Welche Entwicklungen und Herausforderungen sind in Zukunft für die Hospizarbeit für alte Menschen zu erwarten? Wie das Leben, so ist auch der Tod eine Frage des authentischen souveränen Selbstseins im gelingenden sozialen Miteinander. Die heute noch vorwiegenden Orte des Sterbens – Krankenhäuser und Pflegeheime – müssen sich organisationsphilosophisch ändern. In der Nachbarschaft im Rahmen einer gelebten Gemeindeordnung müssen sorgende Gemeinschaften entfaltet werden. Wie kann die Hospizarbeit heute und in Zukunft ihrem Anspruch "Leben in Würde bis zuletzt" gerecht werden? Würde ist die Paraphrase der Personalität des Menschen und operationalisiert sich in den Dimensionen Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und Teilhabe. Die Frage wird sein, wie sich dies in der letzten Statuspassage des Menschen für den betroffenen Menschen und seinen engsten Kreis der Mitmenschen authentisch gestalten lässt. Wichtig sind dabei natürlich die frühzeitige Wahl des Ortes und seiner Rahmung sowie das Verfassen einer effektiven und justiziablen Patientenverfügung. Für die Zeit nach dem Tod sollten die Mitmenschen eine lebenszugewandte Art des Trauerns entwickeln und eine Kultur der Erinnerung und des sozialen Gedächtnisses leben. Doch letztendlich muss jeder selbst seinen Tod und das Sterben als Produktionsfunktion des Todes für sich auslegen. Max Scheler hat mal auf die Frage, ob es Unsterblichkeit gibt, geantwortet: Ja, es gibt Unsterblichkeit, aber nur für kurze Zeit. Scheler hat nur zum Teil Recht, denn die Unsterblichkeit ist ewig: Der Mensch hat gelebt und einen – wenngleich mathematisch kleinen – Beitrag in der Geschichte hinterlassen, so dass die Geschichte so und nicht anders verlaufen ist. Und dies bleibt gewiss ewig eine Tatsache. Das sollte trösten. anstifter 1 | 2019 13

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