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Anstifter 1, 2018 der Stiftung Liebenau

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Der Anstifter ist die Hauszeitschrift der Stiftung Liebenau mit Themen aus den Bereichen Bildung, Familie, Gesundheit, Lebensräume, Pflege, Service und Teilhabe.

Schwerpunkt Eugen

Schwerpunkt Eugen Reutlinger in seiner Heimgebundenen Wohnung im Haus Judith in Weingarten. Hier ist er gerngesehener Nachbar. Durch und durch glücklich Leben in einer Heimgebundenen Wohnung Wenn es Menschen gibt, die eine durch und durch positive Ausstrahlung besitzen, dann ist Eugen Reutlinger einer von ihnen: Offen empfängt der 85-Jährige den fremden Gast an seiner Wohnungstür, lädt ihn herzlich ein, einzutreten, führt ihn in sein Wohnzimmer. Der Blick geht ins Grüne. Draußen toben Kindergartenkinder auf dem Spielplatz. Seit vier Jahren lebt er im Haus Judith in Weingarten in einer Heimgebundenen Wohnung. Er nennt sie „sein Reich“. Eingezogen ist er hier mit seiner Frau. Im Haus Judith feierten sie ihren 60. Hochzeitstag, davon schwärmt Eugen Reutlinger, als wäre es gestern gewesen. Damals war seine Frau schon erkrankt, auf Pflege und einen Rollstuhl angewiesen. Inzwischen ist er Witwer. „Dadurch, dass die Wohnung nicht zu groß ist, kann ich das meiste selber machen.“ Andererseits muss er sich um vieles gar nicht selbst kümmern. Ist die Leuchte im Bad kaputt, kommt der Hausmeister und setzt eine neue ein. In anderen Dingen unterstützt ihn eine seiner Töchter. Einmal die Woche bereitet er sich selbst das Mittagessen zu. Dies sei ihm bis heute wichtig. „In zwei Jahren habe ich richtig kochen gelernt.“ Seine Frau gab vom Rollstuhl aus Instruktionen, die er am Herd umsetzte, wie er schmunzelnd erzählt. Im angeschlossenen Pflegebereich vom Haus Judith isst er regelmäßig zusammen mit weiteren Mietern, einmal die Woche bei seiner Schwester, die ganz in der Nähe wohnt. Eugen Reutlinger hat in Oberschwaben viele Spuren hinterlassen. Mit Witz und Dankbarkeit erzählt der junggebliebene Senior von seinem Berufsleben und den vielen persönlichen Kontakten. Außer für Anstriche war die Firma, in der er als Maler arbeitete, auch für Restaurierungen von Bildern und Statuen gefragt. „Ich bin in Räume von Klosterschwestern gekommen, wo sonst niemand hinkommt.“ In ganz Oberschwaben arbeitete er in Kirchen und Klöstern ebenso wie in Privathäusern. Auch etliche Schriftzüge von Ravensburger Gaststätten sind aus seiner Hand. Manche Geschichten von Kunden gehen ihm immer noch so nahe, dass seine Augen feucht werden. Er sei halt Romantiker. Die kreative Seite seines Malerberufs wurde ihm längst zum Hobby. Filigrane Arbeiten waren schon immer sein Ding. Wie zum Beweis schreibt er geschmeidig mit der Füllfeder den geschwungenen Schriftzug einer Zeitschrift ab. Wer aus dem Aufzug im Untergeschoss aussteigt, wo Eugen Reutlinger einen Raum als Atelier nutzen kann, wird von leuchtenden Mohnblumen empfangen. Manchmal stellt er seine Bilder aus und für die Kapelle hat er sogar vier christlich inspirierte Fensterbilder geschaffen. Heimgebundene Wohnungen sind die ideale Wohnform für ältere Menschen, die Eigenständigkeit im Alter schätzen und dennoch auf ein bestimmtes Maß an Hilfe und Unterstützung im Alltag angewiesen sind oder zurückgreifen möchten. „Ich habe nie Langeweile“, sagt Eugen Reutlinger. Regelmäßig trifft er sich mit anderen Mietern. „Es gibt im Monat 20 Veranstaltungen für uns“, freut er sich, während er auf das vor ihm liegende Monatsprogramm klopft: vom Singen über den Stammtisch bis hin zu Yoga. Er nimmt an allen Angeboten gerne teil. „Ich bin hier wirklich glücklich“, resümiert Eugen Reutlinger. „Hier ist es ‚heimelig‘“, wie man im Schwäbischen sage. „Es fehlt mir an nichts, und das Umfeld stimmt.“ Ein durch und durch glücklicher Mensch. (ao) 14 anstifter 1 | 2018

Schwerpunkt „Es geht sehr nahe“ Gewachsene Verbundenheit zwischen Mitarbeitern und Bewohnern Gruppenleiter Markus Würth zeigt Bilder einiger verstorbener Bewohner der Wohngruppe JOS11. Die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster dringen, tun Bruno W.* gut. In Seelenruhe und mit Vorfreude wartet er an einem sonnigen Platz auf das Mittagessen. Die 82-jährige Christa K.* sitzt im Gemeinschaftsraum der Wohngruppe JOS11 an einem Tisch und wirft unruhig ihre Hände in die Luft. Markus Würth streicht ihr übers Haar, um es etwas zu bändigen. Der Gruppenleiter erzählt von einer anderen Bewohnerin. Früher eine gestandene Persönlichkeit, sei sie inzwischen bettlägerig. Ihr drastischer Abbau geht ihm nahe. Zehn weitere Männer und Frauen im Alter von 40 bis 86 Jahren leben hier. Einige arbeiten tagsüber in der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen, manche verbringen Zeit im Förder- und Betreuungsbereich. Die Senioren erleben ihren Tag in der Wohngruppe und im nahen Umfeld, zusammen mit den Mitarbeitern als wichtige Bezugspersonen. Auf die Frage, wie lange er selbst schon bei der Stiftung Liebenau arbeitet, lacht Markus Würth: „Oh, seit 28 Jahren.“ Einige Bewohner kennt er seit dem Einzug 1999 in das damals neue Haus St. Josef in Liebenau. Am Anfang müsse man lernen, das richtige Gespür für die einzelne Persönlichkeit zu entwickeln, sich in jeden und jede hineinversetzen zu können. Durch die sehr unterschiedlichen Behinderungen und Krankheiten der einzelnen Bewohner eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe, resümiert er. Zur Betreuung kommen Pflegetätigkeiten wie Waschen, Ankleiden, Medikamentengaben und Hilfe beim Essen ebenso wie das Setzen der PEG-Sonde oder die Behandlung von Diabetes. „Oft reagieren die Bewohner über Emotionen.“ Soll heißen: „Man bekommt sehr schnell ein unmittelbares Feedback.“ Die direkte Reaktion zu erfahren macht vieles einfacher, findet Markus Würth. „Beziehung bedeutet für mich Vertrautheit, dass man merkt, was Menschen bewegt, dass man zusammen lacht und zusammen trauert, dass man auf den jeweiligen Menschen eingeht.“ Dass die Pflege zum Beispiel genügend Raum bekommt. Die Bewohner würden Zeitdruck sofort spüren. Markus Würth bedauert, dass die gesetzlichen Vorgaben und die Bürokratie mit der umfangreichen Dokumentation stark zugenommen haben, was von der Zeit mit den Bewohnern und der Beziehungsarbeit abgeht. Die wiederum ist eine Mischung aus allem: dem gelebten Alltag mit einer passenden Struktur, der Pflege, der individuellen Förderung und besonderen Aktivitäten wie Spaziergängen, kleinen Ausflügen oder Cafébesuchen. Altersbedingte Veränderungen der Bewohner erfordern laufend Reflexion von den Mitarbeitern und womöglich eine Anpassung der individuellen Betreuung. Das Thema Tod gehört für Würth zur Arbeit. „Wenn man die Menschen so lange kennt, geht er einem aber schon sehr nahe.“ (ao) * Namen geändert anstifter 1 | 2018 15

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