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Anstifter 1, 2018 der Stiftung Liebenau

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Der Anstifter ist die Hauszeitschrift der Stiftung Liebenau mit Themen aus den Bereichen Bildung, Familie, Gesundheit, Lebensräume, Pflege, Service und Teilhabe.

Schwerpunkt Altsein

Schwerpunkt Altsein gehört zum Leben Ein Gespräch über den „Lebenswert Alter“ Die gute Nachricht zuerst: Wir gewinnen immer mehr Lebenszeit! In den letzten 20 Jahren ist die Lebenserwartung der Deutschen um drei Jahre für Frauen, um fünf Jahre für Männer gestiegen, so dass heute nach Renteneintritt ein neuer Lebensabschnitt von rund 15 Jahren entstanden ist. Die „rüstigen Senioren“ von heute führen ein aktives Leben, treiben Sport, gehen auf Reisen und engagieren sich vielfältig. Das „vierte Lebensalter“ aber, die Zeit der Hochaltrigkeit ab etwa 76 Jahren, wird vorwiegend als Phase geistigen und körperlichen Verfalls empfunden – und auch medial oft so dargestellt. Dieser Perspektive setzt die Stiftung Liebenau ein anderes Verständnis entgegen. Dr. Alexander Lahl, Geschäftsführer der Unternehmen im Aufgabenfeld Pflege und Lebensräume, erläutert Näheres im Gespräch mit Helga Raible. Herr Dr. Lahl, Sie sprechen häufig vom „Lebenswert Alter“. Was ist für Sie dieser "Lebenswert"? Nach meinem Verständnis hat jedes Lebensalter seinen Wert. Und das Leben ist in jeder Lebensphase im Wortsinn wert-voll. Altsein gehört zum Leben wie das Jungsein. Und wir wollen die Alten und sehr Alten so behandeln, wie wir selbst in dieser Situation behandelt werden wollen. Das ist gemeint, wenn wir von „Lebenswert Alter“ sprechen. Diese Überzeugung prägt die ethische Grundhaltung in der Stiftung Liebenau und ist begründet in unserem christlichen Menschenbild. Wir wollen den Menschen, den wir betreuen oder pflegen, nicht zuerst in seiner Hilfebedürftigkeit sehen, sondern in seiner Person, in seinem Menschsein, in seiner Würde. Aus dieser Haltung heraus gestalten wir unsere Arbeit und unsere Angebote im Aufgabenfeld Pflege und Lebensräume. Gelingt das denn auch, wenn jemand in sehr hohem Maße pflegebedürftig ist? Natürlich. Auch in seiner Verletzlichkeit und seiner Einschränkung bleibt jemand Mensch, und wir können erfahren, was auch zum Menschsein gehört. Würde kann weder verloren noch vertan werden, selbst bei einem hohen Maß an Pflegebedürftigkeit. Deshalb gehört zu unserem Anspruch, dass auch ein Leben mit sehr hohem Pflegebedarf oder Demenz lebenswert sein soll und ist. Wer hilfebedürftig, verletzlich oder gebrechlich ist, ist nicht würdelos, und niemand sollte sich anmaßen, von außen zu entscheiden, ob ein Leben lebenswert ist oder nicht. Zudem gehört zu unserem Menschsein, Hilfe zu geben und Hilfe zu empfangen. Was bedeutet das konkret für die Arbeit in Ihren Einrichtungen und Diensten? Dass wir unsere Möglichkeiten nutzen für eine lebenswerte Unterstützung von älteren und alt gewordenen Menschen. Sie sollen ihr Leben in Würde und Autonomie so weit wie möglich selbst gestalten können. Das beginnt bei unserem 12 anstifter 1 | 2018

Schwerpunkt präventiven Konzept der Selbst- und Nachbarschaftshilfe in den Lebensräumen für Jung und Alt und geht hin bis zur Ausstattung unserer Häuser der Pflege. Sie sollen dem vertrauten häuslichen Wohnumfeld so nah wie möglich sein und nicht etwa an Krankenhäuser erinnern. Auch der Alltag lässt sich sehr individuell gestalten, zum Beispiel mit einem Frühstücksbüfett statt festen Frühstückszeiten. Wir beziehen sehr stark Ehrenamtliche und – wenn möglich – Angehörige in unsere Arbeit ein, um auch hier Normalität und Offenheit ins Umfeld zu erreichen. Am wichtigsten aber ist die Haltung, mit der wir unsere Arbeit tun. Ein Schlüsselthema für uns ist das Thema Autonomie. Wir widmen ihm Veranstaltungen und Schulungen, entwickeln detaillierte Umsetzungskonzepte, was Autonomie etwa für Menschen mit Demenz bedeutet. Leitungskräfte ebenso wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen sich sehr intensiv damit auseinander, wie sie ihren Respekt vor der Würde der jeweiligen Person zum Ausdruck bringen können. Das bedeutet, ständig abzuwägen, wieviel Autonomie möglich und wieviel Fürsorge nötig ist, ohne dass sie „übergriffig“ wird, also die Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten des anderen zu sehr einschränkt. Verträgt sich dieses Pflegekonzept mit den aktuellen Rahmenbedingungen der Pflege? Ja und Nein. Wir sehen in den letzten Jahren ganz wesentliche Entwicklungen im Bereich der Pflege. Das Pflegestärkungsgesetz II zum Beispiel definiert Pflegebedürftigkeit nicht mehr über Defizite, sondern über Kompetenzen und Ressourcen – das deckt sich voll mit unserem Autonomie-Verständnis. Auch das neue Strukturmodell zu Planung und Dokumentation der Pflege, die „Strukturierte Informationssammlung“, kurz SIS, liegt auf dieser Linie. Sie fördert ein personenzentriertes Vorgehen. Die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen werden ganz klar in den Mittelpunkt gestellt. Aber noch passen nicht alle Systeme zusammen, ja, wir haben geradezu auch paradoxe Situationen. Ein Beispiel: In Baden-Württemberg will die Landesheimbauverordnung den Heimcharakter von Pflegeeinrichtungen reduzieren und stellt das Wohnen in den Vordergrund. Manches staatliche Gesundheitsamt wiederum verlangt Hygiene- und Desinfektionsmaßnahmen bei Bewohnern und Mitarbeitenden, Ehrenamtlichen und Angehörigen, die eher an ein Krankenhaus erinnern. Hier fehlt mir ein Gesamtkonzept! Können Sie Ihre Haltung überhaupt noch leben? Heute ist ja eher von Pflegenotstand die Rede, von Personalmangel. Aufgrund des demografischen Wandels ist die Personalsituation tatsächlich eine der größten Herausforderungen in naher Zukunft. Noch haben wir in unseren Häusern der Pflege aber keinen Notstand, wenn wir auf unsere Zahlen sehen. Trotzdem gibt es immer wieder personelle Engpässe aufgrund von Krankheit beispielsweise oder familiären Veränderungen. Übersehen wird bei der gesamten Diskussion aber oft, dass wir bundesweit gar keinen Rückgang an Pflegekräften haben. Ganz im Gegenteil: Die Zahl der Beschäftigten in der Pflege hat in den vergangenen 15 Jahren um mehr als 70 Prozent zugenommen (Pflegestatistik von 2015, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt im Januar 2017). Zudem haben wir momentan mehr Auszubildende im ersten Ausbildungsjahr als je zuvor in unseren Einrichtungen. Aber die Zahl der Menschen, die Pflege brauchen, steigt eben auch. Ebenso steigen die Anforderungen an das Personal. Es wird also zunehmend enger. Und leider gibt es dafür keine einfache Lösung. Hier geeignete Maßnahmen einzuleiten, fordern sowohl Träger als auch Politik. Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung, einen Masterplan von Politik und Trägern, unterstützt von den Medien, um die Rahmenbedingungen in der Pflege wie auch das Image der Pflege zu verbessern. Zum Schluss eine persönliche Frage an den 47-Jährigen: Wie möchten Sie selbst im Alter leben? Ehrlich gesagt, beschäftige ich mich zwar viel mit dem Altwerden – aber wenig mit meinem eigenen! Aber ich denke, dass ich berufsbedingt so sensibilisiert und eingestellt bin, dass ich mit meinem Alter gut umgehen werde. Eine gewisse Gelassenheit hilft dabei sicherlich. Auf jeden Fall kann ich mir auch vorstellen, in einem unserer Häuser der Pflege alt zu werden. Dr. Alexander Lahl, Geschäftsführer der Unternehmen im Aufgabenfeld Pflege und Lebensräume. anstifter 1 | 2018 13

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