Dr. Markus Nachbaur (links) und Dr. Berthold Broll (rechts) im Gespräch mit Diakon Josef H. Friedel. Der Vorstand der Stiftung Liebenau schätzt die Gründlichkeit und Tiefe der Dokumentation über die Liebenauer Opfer der Euthanasie. Foto: Scheidel Noch immer sind Schicksale ungeklärt Stiftung Liebenau gedenkt der Euthanasie-Opfer das Kriegsgeschehen und ihre Erfahrungen mit der Euthanasieaktion. Was sie berichteten wurde von den ehemaligen Schwestern des Klosters Reute bestätigt oder korrigiert. Die ersten Transportbusse kamen am 1. Juli 1940 nach Liebenau. Anfangs war es noch ein Vertuschen, ein beschönigendes Verlegen in eine andere Anstalt. Aber bald war den Heimbewohnern und den Mitarbeitern klar, dass es kein Wiedersehen geben wird. „Wer steht heute auf der Liste, wer morgen?“ Die Angst lastete auf den Bewohnern, auf den Schwestern, Pflegern und Vervon Lioba Scheidel LIEBENAU – Am Holocaust-Gedenktag 2014 erinnerte die Stiftung Liebenau an ihre Opfer der Euthanasie. Diakon Josef H. Friedel vom Kulturkreis Meckenbeuren (Abteilung Heimatgeschichte) dokumentierte die Schicksale der ermordeten Liebenauer Bewohner. In seinem Vortrag „Dem Vergessen entrissen“ berichtete er aus seinen Recherchen. Diakon Josef H. Friedel war von 1974 bis 2002 als Heimleiter beschäftigt und im Pastoralen Dienst der Stiftung Liebenau tätig. In Gesprächsrunden erinnerten sich Liebenauer Bewohner und Zeitzeugen an 1970 Sommer 2004 September 2008 Juli 2010 Gedenkstein mit den Namen „Gegen das Vergessen“ – eine Herausgabe der Publikation Die Stiftung Liebenau setzt der Ermordeten aus Liebenau Ausstellung zu den Verbre- „Gegen das Vergessen“, eine einen Stolperstein gegen das in der Kirche St. Maria in chen der Euthanasie, die von Einord-nung in die histo- Vergessen. Liebenau der St. Gallus-Hilfe (Stiftung rischen Zusammenhänge von Liebenau) und der Gedenk- Josef H. Friedel. stätte Grafeneck konzipiert und im Schloss Liebenau gezeigt wurde. 8 Stiftung Liebenau
Deportiert – ermordet – verbrannt – verschickt – begraben „Nutzlos ist ein Würmlein nicht, denn der Herr hat es erdacht. Wenn es auch im Staube kriecht, es lobt ihn und seine Macht. So hat jedes Menschenherz seine Aufgab zu erfüllen. Immer vor - und höherwärts führet uns des Höchsten Willen. Deshalb stell auch ich mich ein, in das Räderwerk der Welt. Ist mein Schaffen noch so klein, Gott es nicht entbehrlich hält.“ Wilhelm Klingenstein, ehemaliger Bewohner, der der Ermordung knapp entgangen ist. Foto: privat Geliebt – Brief an Liebenau antwortlichen der Stiftung Liebenau. 512 Menschen aus der Stiftung Liebenau wurden deportiert. Den NS-Behörden genügten die Diagnosen Epilepsie, Down-Syndrom, Taubheit, Taubstummheit. Mitarbeiterin Susanne Droste-Gräff zitiert zu Beginn der Veranstaltung kommentarlos aus zeitgeschichtlichen Dokumenten. Eine nachdenkliche Schwere legt sich auf die Zuhörer. Wie ein kalter Schauer rücken die Schicksale der Euthanasieopfer in unmittelbare Nähe. Spürbare Betroffenheit macht sich im Raum breit. Die Lebensgeschichten der Liebenauer Zeitzeugen ermutigten den Diakon zur Spurensuche. Die Liebenauer Deportierten wurden in Grafeneck (Baden-Württemberg) und in Hadamar (Hessen) ermordet. Die offiziellen Todesnachrichten weisen andere Sterbeorte aus. „Dies war Teil der amtlichen Verschleierungstaktik“, erklärt Diakon Josef H. Friedel. Sterbenachrichten über die Angehörigen erreichten die Stiftung nur lückenhaft. Dies erschwerte die Recherche von Josef H. Friedel. In jahrelanger akribischer Kleinarbeit hat er die amtlichen Sterbefallmeldungen und die Elternbriefe gesammelt und Sehr geehrte Verwaltung, wir haben gehört, dass unser lieber Bruder Konrad, der seit Jahren bei Ihnen in liebevoller Pflege ist, sich nicht mehr bei Ihnen befinden soll. Wir sind deshalb sehr in Sorge um ihn. Wir möchten Sie höflichst um Auskunft ersuchen, wo sich unser lieber Bruder befindet. Briefmarke liegt bei. Um baldige Nachricht bittet hochachtungsvoll Familie H. gesichtet. In zwei Büchern hat er die Lebensdaten der 512 Opfer dokumentiert. „Er hat den Menschen ihren Namen und ihre Würde zurückgegeben“, bekräftigt Dr. Berthold Broll, Vorstand der Stiftung Liebenau. Bürgermeister Andreas Schmid schätzt Friedels Engagement: „Es ist wichtig, dass wir die Menschen, die von der Stiftung begleitet werden, wahrnehmen, dass wir nicht vergessen und Verantwortung übernehmen.“ Am Ende blättern Familienangehörige in den Büchern, suchen die Namen von Verwandten. Noch heute sind einzelne Schicksale ungeklärt. Gelogen – Brief aus Grafeneck Sehr geehrte Frau B., es tut uns aufrichtig leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Sohn Kaspar B. am 5. August 1940 in unserer Anstalt plötzlich und unerwartet an einer Gallenblasenentzündung und einer anschließenden Bauchfellentzündung verstorben ist. Ihr Sohn wurde am 25. Juli 1940 auf ministerielle Anordnung gemäss Weisung des Reichsverteidigungskommissars in die hiesige Anstalt verlegt. Bei der schweren geistigen Erkrankung bedeutete für den Verstorbenen das Leben eine Qual. So müssen Sie seinen Tod als eine Erlösung auffassen. Da in der hiesigen Anstalt z. Zt. Seuchengefahr herrscht, ordnete die Polizeibehörde die sofortige Einäscherung des Leichnams an. Stiftung Liebenau 9
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