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wir mittendrin - 1 / 2020

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Die Zeitschrift von Menschen mit und ohne Behinderungen

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2 1 | 2020 BARRIEREN Für meine Behinderung sind andere blind Wenn ich erzähle, dass ich eine Restsehstärke von zehn Prozent habe, kein Auto fahren darf und unterwegs kaum mir bekannte Personen erkenne, dann reagieren die Menschen darauf meist skeptisch, denn: Die Behinderung ist für sie nicht sichtbar. Ich gestalte meinen Alltag selbstständig, absolviere mein Studium, arbeite ehrenamtlich und kann mich in gewohnter Umgebung allein bewegen. Deshalb denken viele, dass die Behinderung von mir übertrieben dargestellt wird und ich einfach unhöflich bin, wenn ich Personen nicht grüße oder sogar einfach vorbeilaufe. Was sie nicht verstehen: An jedem Tag benötige ich meine gesamte Energie, um alles was ich nicht (richtig) sehe zu kompensieren, muss teilweise raten, was ich gerade sehe. Das bedeutet für mich, dass alle meine Vorhaben penibel geplant sind und ich mich nur mit meinen Hilfsmitteln auf den Weg mache. Je nach geplanter Tätigkeit (z.B. Das Videovergrößerungsgerät stellt Evelyn Sowa unten aufgelegte Dokumente und Bücher vergrößert auf dem Bildschirm dar. Einkaufen) plane ich direkt habe ich auch eine gute Merk- mehr Zeit ein und manches, wie fähigkeit und kann mich sehr mein Studium, würde ohne gut auf einzelne Dinge konzent- (technische) Hilfsmittel nicht rieren, bin sehr aufmerksam funktionieren. Mittlerweile und kleine Hindernisse im Alltag werden von mir kreativ gelöst. Schwierig ist für mich dagegen bis heute die eingeschränkte Mobilität, weil dadurch meine Auswahl von Wohnorten und Arbeitsplätzen vorab schon eingegrenzt wird. Außerdem löst ungewohnte Umgebung meist Stress in mir aus, da ich dann merke, wie schwierig es für mich ist, mich zu orientieren und mich zurecht zu finden – Diese Situationen gehe ich meist nur ein, wenn ich jemand Vertrautes an meiner Seite weiß, der mir bei der Orientierung hilft und mir zum Beispiel bei Bedarf etwas vorliest. Seit mittlerweile gut zwei Jahren arbeite ich neben meinem Studium ehrenamtlich als Teilhabeberaterin bei der EUTB Ravensburg-Sigmaringen, dabei sprechen wir über Barrieren und welche Möglichkeiten es gibt diese zu überwinden. Es ist ein gutes Gefühl, jemandem aus der eigenen Erfahrung heraus weiterhelfen zu können. Text und Foto: Evelyn Sowa GESELLSCHAFT Ein Blick zu unseren Nachbarn nach Frankreich Oft reichen schon wenige Änderungen oder Maßnahmen aus, um Menschen mit Einschränkungen das Leben zu erleichtern. Werfen wir einen Blick zu unseren Nachbarn in Frankreich: Nachahmung empfehlenswert! Volkssport Angeln: Damit auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität diesem Hobby nachgehen können, gibt es zahlreiche rollstuhlgerecht angelegte Plätze an Seen und Flüssen, die für jeden zugänglich sind. Manchmal ist weniger mehr: Schlicht durch Weglassen einer Picknick-Bank bekommen Rollstuhlfahrende die Möglichkeit ganz normal am Tisch zu sitzen und das gesellige Beisammensein zu genießen. Ein kleiner Satz mit großer Wirkung: Wenn Sie meinen Platz nehmen, nehmen Sie auch mein Handicap! Behindertenparkplätze sind bei unseren Nachbarn in Frankreich meist mit diesem Hinweis versehen. Altpapierentsorgung à la française: Einfach ein zusätzlicher Schlitz und auch Menschen im Rollstuhl können ihr Altpapier entsorgen. Text und Fotos: Anne Luuka

1 | 2020 3 LEBEN Grenzen gibt es nicht Als ich am 12. September 2013 mit meinem Rucksack vor der Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul stand und mit meiner Kamera erste Filmversuche unternahm, ahnte ich nicht, welchen Menschen ich im nächsten Jahr auf meiner Reise um die Welt begegnen würde. Manchmal denke ich auch heute noch, wie verrückt und naiv diese Idee war, allein und ohne Budget durch 23 Nationen zu reisen. Nur um für mich eine Frage zu klären: Was hat Menschsein mit Behinderung zu tun? Vielen Menschen mit Behinderungen begegnete ich in den folgenden 14 Monaten rein zufällig. Oft war ich dabei überrascht, wie ehrlich und ungeschönt mir der teilweise sehr bittere Alltag gezeigt wurde. Manchmal schämte ich mich für mein eigenes Wohlbefinden und den geschützten Rahmen, in welchem ich aufwachsen durfte. Besonders schwer fiel mir der adäquate Umgang mit absoluter Armut. Ich wusste nicht, ob ich mich persönlich für jeden Einzelnen verantwortlich fühlen sollte. Schließlich beurteilte ich ihre Lebenssituationen mit dem Blick meiner eigenen kulturellen Prägung. Fast täglich begegnete ich auf meiner Reise Menschen mit Behinderungen. Ich wurde zum Sammler all dieser Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden. Ich habe zugehört. Ich habe versucht, ihre Probleme nachzuvollziehen. Ob in der Wüste Perus oder in den Bergen Indiens. Letztendlich musste ich mich damit abfinden, dass ich nur ein Mensch mit einer Kamera war. Also filmte ich. „Menschsein“ heißt der Titel des Kinofilms von Dennis Klein. Voraussichtlich ab Herbst 2020 gibt es die DVD zum Film mit berührenden Geschichten, die den eigenen Blick verändern. www.menschsein-film.de Text und Foto: Dennis Klein Das sagen Menschen mit Handicap zum Film: „ In allen Ländern gibt es behinderte Menschen. Vielen geht es schlechter als uns. Es ist nicht richtig, dass sie keine Jobs bekommen. Menschen mit Behinderungen haben die gleichen Rechte wie Menschen ohne Behinderungen. Carola Hinz (51) Da gibt es wenig Personal, keine Möglichkeiten zu helfen und Medikamente fehlen in den armen Ländern. Ich bin froh, dass ich gehen kann, und dass ich mich behaupten kann! Christa Tomaschko (58) In manchen Ländern ist man nicht so weit wie bei uns. Einer schreibt mit dem Mund, weil er keine Arme hat. Bei uns gibt es mehr Hilfsmittel, Prothesen. Die Menschen liegen auf dem Boden, die haben keine Fördermittel in der Dritten Welt. Es hat niemand ein eigenes Zimmer und eine Heizung. Ingrun M. (51) Dieses Video berührt mich. Die (Menschen) sollen eigentlich gleichberechtigt werden wie wir. So wie diejenigen, die keine Behinderungen haben. Ronja Wolf (17) Die Menschen mit Behinderungen werden nicht so akzeptiert, die haben kein Geld in den armen Ländern, sie haben keine Wirtschaft so wie wir, die Behinderten kriegen nix… Sylvia Hinkelmann (58) Ich finde die arm, die so eine Behinderung haben. Vanesa Botosova (18) Keine gute Schulung für die Behinderten, es gibt keine Fachkräfte, keine Physiotherapeuten. Die Wege sind schlecht und die Leute sind im Freien. Sie haben keine geschützten Räume. Norbert Nägele (58) „ Aufgabe für alle Das Landratsamt Ravensburg hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen mit Behinderungen bei ihren Teilhabewünschen bestmöglich zu unterstützen, um ihnen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dabei geht es vor allem darum, das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderungen im Alltag zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Verdiente Aufmerksamkeit Vor diesem Hintergrund hat sich der Landkreis Ravensburg in den Jahren 2016 bis 2018 am Modellprojekt „Inklusionskonferenz“ des Kommunalverbands für Jugend und Soziales beteiligt. Hier wurde eine Plattform für Menschen mit Behinderungen geschaffen, um gemeinsam mit Akteuren aus Politik und Gesellschaft nachhaltige Veränderungsprozesse zu etablieren. Der Dokumentarfilm „Menschsein“ von Dennis Klein wurde im Rahmen dieses Projekts finanziell durch den Landkreis Ravensburg unterstützt. Auf berührende Weise zeigt er, wie Inklusion im Handeln sichtbar und erfahrbar werden kann. Im Dezember 2019 war der Dokumentar- Landrat Sievers film anlässlich des Aktionstags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen bundesweit in über 100 Kinos zu sehen. Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb freuen wir uns als Landratsamt Ravensburg, dass wir mit unserer Förderung dazu beitragen konnten, dem Thema Inklusion die verdiente Aufmerksamkeit zu schenken. Text: Harald Sievers, Landrat Landkreis Ravensburg Foto: Landkreis Ravensburg

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