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wir 1 / 2018

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10 Das eigene Kind mit

10 Das eigene Kind mit Behinderung loslassen: Für Eltern ein Kraftakt Ihr bringt mich aber wieder zurück… Die Verselbstständigung des eigenen Kindes mit Behinderung – allein die Vorstellung – bedeutet für Eltern das Grauen. Doch es gibt nicht selten den Glücksfall: dann, wenn der junge Mensch eine „zweite Familie“ dazubekommt. Dieter Weidner schildert persönliche Erfahrungen eines Vaters. „Ihr müsst euch damit abfinden, dass er behindert ist.“ Wie kommt ein Freund von uns dazu, so etwas über unseren Tim Weidner (rechts) mit seiner Familie in Volkertshausen. Foto: privat Tim zu sagen? Tim ist unser erstes Kind, geboren 1975. Seine Entwicklung entspricht nicht ganz der Norm. Der Kinderarzt meint, das gebe sich schon noch. Öffentlicher Kindergarten – Vorschule mit sprachbehinderten Kindern – Tests mit ungenauen Ergebnissen – dann: „Tim benötigt eine spezielle Förderung“. Er fährt täglich 30 Kilometer in die Schule für Geistigbehinderte nach Konstanz. Dort bleibt er „ein hyperaktives Kind mit apathischen Zügen“. Parallel laufen klinische und ambulante Untersuchungen in Zentren für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Unikliniken. Wir fühlen uns oft hilflos. Ein unbefriedigendes Ergebnis für uns Eltern: Bei Tim wird eine geistige Behinderung diagnostiziert mit letztendlich unklarer Genese: intermodale Wahrnehmungsstörungen, hyperaktives Verhalten, starke Erregungszustände, zyklothyme Störungen, bei der sich depressive und manische Phasen abwechseln. Tim ist in der Zwischenzeit 20 Jahre alt und hat zwei jüngere Geschwister. Wie sieht seine Zukunft aus? Tims Schulzeit wird Mitte der 90er nicht mehr verlängert. Die Begründung: „Da die Schule Tims Förderbedürfnissen nicht mehr gerecht werden kann, empfehlen wir die Aufnahme in einem intensiv betreuten Arbeitsbereich.“ Was nun? Wir sind niedergeschlagen! Tim soll also nicht mehr bei uns wohnen? Es kann aber auch nicht so weiter gehen, da er uns täglich 24 Stunden fordert und wir keine Entlastung haben. Unsere Familie ist nervlich am Ende; es gibt bei uns viele Tränen. Verzweifelte Suche nach einer geeigneten Einrichtung im ganzen süddeutschen Raum. Viele Einrichtungen angeschrieben – viele angeschaut – viele Absagen bekommen! Durch unsere betreuende Neurologin erfahren wir von der Stiftung Liebenau. Wieder eine Anfrage und ein Informationsgespräch, dann ein erster Besuch bei einer Gruppe in Rosenharz: für Tim nicht geeignet – warten – ein neuer Versuch zur Probe und dann: für immer? Tim fehlt uns Tim verlässt uns! Wie wird er aufgenommen? Wie wird er sich eingewöhnen? Wie gehen die Betreuer mit ihm um? Er fehlt uns! Ist es richtig, dass wir ihn hergegeben haben? Wir müssen uns erst an die Tage und Nächte gewöhnen, in denen Tim nicht mehr da ist. In einem der ersten Berichte aus Rosenharz heißt es: „Auf alle Fälle ist durch die liebevolle Aufnahme, die Herr Weidner von Seiten der Mitarbeiter wie Bewohner erfahren hat, ein deutlich erkennbares Wohlfühlen festzustellen.“ Wir atmen auf. Wir können uns bei unseren Besuchen und Gesprächen davon überzeugen, dass es ihm gut geht. Die Gruppe Teresa 02 ist für Tim Weidner jetzt die zweite Familie. Foto: privat

11 Doch es bleibt nicht dabei! Tim wird „rückfällig“, kommt kurzfristig in die Fachklinik Weissenau und anschließend in die St. Lukas-Klinik nach Liebenau. Es geht ihm sehr schlecht. Wir besuchen ihn wöchentlich. Wieder kommen bei uns Zweifel auf, ob es richtig war, ihn in die Obhut Fremder zu geben. Doch zuhause wären wir in einer solchen Situation vollkommen überfordert und hilflos. 1997 kommt er dann auf die Gruppe Teresa 02 in Liebenau. Dort findet er ein Betreuungsteam, das ihn liebevoll aufnimmt, so wie er ist, seine Stärken fördert und seine Probleme minimiert. Tim fühlt sich jetzt richtig wohl – und wir auch. Wir pflegen einen engen Kontakt zur Gruppe. Von dem Gedanken, dass nur wir als Eltern und Familie das Beste für Tim tun können, haben wir uns verabschiedet. Wir wissen jetzt, dass Tim hochprofessionelle Betreuerinnen und Betreuer hat, die rund um die Uhr für ihn da sind und dafür sorgen, dass es ihm gut geht. Tim hat eine Gruppe gefunden, in der er sich wohl fühlt, die seinen Tagesablauf bestimmt – und das ist gut so. Deshalb können wir loslassen! Weil es ihm gut geht, geht es auch uns gut. Wir haben ein neues Lebensgefühl bekommen, das sich nicht nur auf unser behindertes Kind bezieht, sondern das neue, teils nicht gekannte Freiräume für die ganze Familie geschaffen hat. Tim hat jetzt zwei Familien, in denen er sich wohl fühlt: eine bei uns zu Hause und eine in Teresa 02. Und heute: Wenn wir Tim nach einem Aufenthalt bei uns wieder ins Teresa zurückbringen, sagt er: „Ihr holt mich aber wieder.“ Und wenn wir ihn wieder holen, sagt er: „Ihr bringt mich aber wieder zurück!“ Dieter Weidner Angehörigen- und Betreuerbeirat setzt sich politisch ein Jedem eine Stimme geben Der Angehörigen- und Betreuerbeirat setzt sich ein für Menschen mit einer Behinderung, die in einer Einrichtung begleitet werden: Das Gremium vertritt die Anliegen von Betreuten und der Angehörigen und ist Bindeglied zur Liebenau Teilhabe. Brigitte Sauter-Servaes ist seit fast 20 Jahren im Gremium organisiert und inzwischen mehrmalig zur Vorsitzenden des Beirats wiedergewählt worden. Sie schildert, welche Themen und Aufgaben sich das Gremium annimmt. Brigitte Sauter-Servaes, Vorsitzende des Angehörigen- und Betreuerbeirats, ist seit rund 20 Jahren in dem Gremium aktiv. Foto: privat Sie engagieren sich seit rund zwei Jahrzehnten im Angehörigen- und Betreuerbeirat der Liebenau Teilhabe. Welche Themen liegen Ihnen und dem Gremium in dem Dreiecksverhältnis Betreute, Angehörige, Einrichtung besonders am Herzen? Wir wollen jedem eine Stimme geben. Manche Menschen mit Behinderung können sich nicht mitteilen. Uns ist es wichtig, dass man auch sie nicht vergisst. Dafür ist die stetige Verbesserung des Austauschs mit den Mitarbeitern in der Einrichtung oder des entsprechenden Dienstes wichtig. Wie realisieren Sie dieses Anliegen? Um dies zu erreichen, ist es wichtig, den Kontakt zu Mitarbeitern und Ansprechpartnern dauerhaft zu pflegen. Neben telefonischem Kontakt eignen sich auch die jeweiligen Hausfeste, zu denen Angehörige eingeladen sind. Unser Gremium bekommt aber auch Einladungen zu den Heimbeiratssitzungen. Andererseits sind wir vom Beirat auch jederzeit für Angehörige erreichbar. Der Angehörigen- und Betreuerbeirat hat bei der Erstellung des Leitfadens für Angehörige und gesetzliche Betreuer in der Liebenau Teilhabe im Arbeitskreis Beteiligung mitgewirkt. Der Leitfaden zeigt auf, wie das Zusammenwirken zwischen Einrichtung, Angehörigen und Menschen mit Behinderung strukturiert und gestaltet werden kann. Es geht um den respektvollen Umgang miteinander, um

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