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Stellungnahme zum Freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF)

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Stellungnahme zum Freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) 08.05.2020 1 Hinführung Das Thema des „Freiwilligen Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit“ (FVNF) wird seit geraumer Zeit vor allem in der Hospiz- und Palliativbewegung diskutiert. An Bedeutung gewann die Diskussion durch die Debatte um die Suizidbeihilfe, deren geschäftsmäßige Ausübung Ende 2015 durch § 217 StGB in Deutschland unter Strafe gestellt wurde. 1 Im März 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht diesen Strafparagraphen für verfassungswidrig, da er die Möglichkeit einer assistierten Selbsttötung derart verenge, dass dem Einzelnen kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibe. 2 Trotz und wegen dieses Urteils, das das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben hervorhebt, möchte das Ethikkomitee der Stiftung Liebenau mit dieser Stellungnahme allen Beteiligten eine Orientierungshilfe geben, wie sie mit der Situation des Freiwilligen Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit umgehen können. 2 Begriffe: FVNF oder Sterbefasten Der FVNF wird auch als „Sterbefasten“ bezeichnet. Dieser Begriff ist zwar einprägsamer, aber dennoch unangemessen. Fasten meint eine Handlung aus beispielsweise religiösen oder gesundheitlichen Gründen. Es zielt nicht auf die Beendigung des Lebens, sondern im Gegenteil auf die Wiederentdeckung von Lebens- bzw. Sinnressourcen. Der Begriff des Fastens ist zudem positiv konnotiert. Es besteht damit die Gefahr, dass der Prozess des FVNF nicht mehr kritisch untersucht wird. 3 Insofern verwendet diese Stellungnahme den de- 1 Vgl. § 217 StGB; Deutscher Bundestag, Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 3. Dezember 2015, in: Bundesgesetzblatt Teil I, Nr. 49, 2177. 2 Vgl. BVerfG, 2 BvR 2347/15, Leitsatz 6. 3 Vgl. Michael Coors / Alfred Simon / Bernd Alt-Epping, Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF). Ein einleitender Überblick, in: dies. (Hg.), Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit. Medizinische und pflegerische Grundlagen – ethische und rechtliche Bewertungen, Stuttgart 2019, 7-12, hier: 9. 2

skriptiven, wenn auch sperrigen Ausdruck „Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit“ (FVNF). 3 Problematik Anliegen der Träger von Pflegeheimen, Palliativstationen und Hospizen ist es, Menschen in der letzten Lebensphase ein würdevolles, d.h. selbstbestimmtes und schmerzfreies Leben und Sterben in Geborgenheit zu ermöglichen. Leitend dabei sei eine „lebensbejahende Grundidee“, die Tötung auf Verlangen und Suizidbeihilfe ausschließe. 4 Die Haltung einer Person zum eigenen Sterben wird individuell durch ihre Lebenserfahrung geprägt. Das Recht auf Selbstbestimmung, das Bedürfnis nach Kontrolle, Selbstwirksamkeit und Sicherheit können wichtige Anliegen am Ende des Lebens sein 5 . Sie können von folgenden Ängsten begleitet werden: Die Angst, anderen zur Last zu fallen, die Angst vor Einsamkeit, die Angst vor Schmerzen und die Angst vor einer Verletzung der eigenen Würde. Zu einem ethischen Problem kommt es dann, wenn ein Mensch in diesem Kontext sein Leben beenden will, indem er auf Nahrung und Flüssigkeit verzichtet. In diesem Fall gerät möglicherweise eine lebensbejahende, pflegerische Haltung – aus welchen weltanschaulichen Gründen auch immer – in einen Konflikt mit dem selbstbestimmten Todeswunsch einer pflegebedürftigen Person. Der innere Konflikt der Pflegepersonen besteht darin, dass der Respekt vor dem Leben des Anderen den Respekt bezüglich seiner Autonomie einschließt: Was der Einzelne als ein gutes Leben ansieht, sollte er (möglichst) selbst bestimmen dürfen. Nicht in jedem Fall ist der Wert der (Lebens-)Fürsorge dem der Autonomie vorzuziehen oder umgekehrt. Autonomie und Fürsorge bedingen sich gegenseitig und haben beide eine sehr hohe Bedeutung für uns Menschen. Dies macht die Abwägung im Einzelfall schwierig. 4 Vgl. Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.V., Leitsätze, online: https://www. dhpv.de/ueber-uns_der-verband_leitsaetze.html (abgerufen am: 13.12.2019). 5 Vgl. Angelika Feichtner / Dietmar Weixler / Alois Birklbauer, Bewusster und freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, um das Sterben zu beschleunigen, in: Zeitschrift für Allgemeinmedizin 94 (9/2018), 354. 3

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