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vor 3 Jahren

Stellungnahme zum Freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF)

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erkennt, dass Menschen

erkennt, dass Menschen subjektive Schmerz- bzw. Leidensgrenzen haben, die zu überschreiten sie aufgrund ihrer Menschenwürde niemand zwingen kann. Der ethischen Argumentationslinie, den Schutz menschlichen Lebens sehr hoch zu bewerten, wird auch dadurch Rechnung getragen, dass das Ethikkomitee eine palliativmedizinische Betreuung schmerzleidender Menschen uneingeschränkt befürwortet. Aus ärztlicher Perspektive sind schmerzlindernde Handlungen ethisch geboten, können aber nicht gegen den Willen des leidenden Menschen durchgesetzt werden. Ein FVNF nach der zweiten Fallkonstellation ist erst dann zu erwägen, wenn schmerzleidende Menschen zu der Auffassung gelangen, dass ihnen – trotz palliativmedizinischer Behandlung – ein Sterben in Würde nicht mehr möglich ist. In dieser Situation steht ein Sterben in unerträglichen Schmerzen und ein Sterben in Würde gegeneinander. Für den eng begrenzten Fall, dass sich der Leidende schon in einem unumkehrbaren Sterbeprozess befindet, ist es nach Meinung des Ethikkomitees gerechtfertigt, das normative Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und Lebensschutz zur Autonomie hin aufzulösen. Den Wert menschlichen Lebens sehr hoch zu beurteilen, kann nicht dazu führen, Menschen, die ihr Leben selbstbestimmt beenden wollen, zu verurteilen. Immer wieder gibt es existentielle Situationen, in denen Menschen sich nicht in der Lage sehen, ihr Leben weiter zu führen. So eine Entscheidung setzt die ethische Norm, sowohl das eigene als auch das Leben aller anderen Menschen zu achten, nicht außer Kraft. Vielmehr macht die Entscheidung deutlich, dass Normen nicht immer eingehalten werden können. Aus diesem Grund ist Personen, die sich frei und willentlich für einen Suizid entscheiden, mit Respekt zu begegnen. Dieser Respekt muss für Dritte nicht notwendigerweise bedeuten, suizidale Handlungen generell zu befürworten. Im Gegenteil: Die Norm des Lebensschutzes hochzuhalten, bedeutet konkret, gemeinsam und informiert die Entscheidung zum FVNF anzuschauen und dabei auch andere Wege, z.B. die Palliativmedizin in Betracht zu ziehen. nenmord oder das Martyrium). Als ein hohes, gleichwohl aber nicht als „das höchste Gut aller Güter“ habe die katholische Moraltheologie den Wert des Lebens mit „der Last eines unerträglichen Lebens“ abgewogen. Vgl. Eberhard Schockenhoff, Ethik des Lebens. Ein theologischer Grundriß, Mainz 1993, 187-189. 10

8 Praktischer Umgang mit FVNF Bis jetzt gibt es keine Gäste im Hospiz oder Bewohner in den Häusern der Pflege der Stiftung Liebenau, die der ersten Fallkonstellation entsprechen. In ein Hospiz kommt, wer sterbenskrank ist. In Pflegeheimen leben überwiegend Menschen mit Demenz oder Einschränkungen, die mindestens Pflegegrad zwei benötigen. Wenn tatsächlich ein Mensch aus freien Stücken durch den Verzicht auf Nahrung oder Flüssigkeit zu sterben wünscht und diesen Prozess mit festem Willen durchläuft, so ist dies – wie schon oben ausgeführt – auch ungeachtet der ethischen Beurteilung zu respektieren. Aus diesem Respekt gegenüber der Person und ihrer selbstbestimmten Entscheidung ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen: a) Menschen, die nicht mehr essen oder trinken wollen – ob ausdrücklich oder nonverbal –, dürfen nicht dazu gezwungen werden. b) Die Möglichkeit, Speisen und Getränke zu sich zu nehmen, wird ihnen weiterhin gegeben, indem z.B. regelmäßig Mahlzeiten angeboten werden. c) Körperliche Beschwerden oder andere Folgen des FVNF, wie z.B. Mundtrockenheit oder Bauchkrämpfe, werden nach aktuellem pflegerischen Standard behandelt. d) Psychosoziale oder seelsorgerische Begleitung wird den Betroffenen, Angehörigen und Mitarbeiterinnen wie gewohnt angeboten. e) Informationen über die Möglichkeiten einer Palliativbehandlung und über den (typischen) Verlaufsprozess des FVNF sollten den Betroffenen und ihren Angehörigen in jedem Fall zur Verfügung gestellt werden. f) Wünschenswert ist, dass die FVNF-Entscheidung in einem kommunikativen Prozess (z.B. in einer medizin-ethischen Fallbesprechung) erfolgt, in den die betroffene Person und alle Beteiligten einbezogen werden. g) Die Begleitung einer Person, die sich für einen FVNF entschieden hat, unterliegt einer Gewissensentscheidung. Insofern kann niemand dazu gezwungen werden, ärztliche oder pflegerische Hilfe zu leisten. Der Entschluss zur Begleitung darf nicht notwendigerweise – wie schon erwähnt – mit einer ethischen Billigung eines FVNF gleichgesetzt werden. 11

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