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Langerfassung Interview Gemeinnützigkeit

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Organisationen, vor allem im Bereich der Wohlfahrtspflege Rechtsunsicherheit. Auch droht sich der Wettbewerb in diesem Bereich zu verschärfen, da auch nicht gemeinnützige Mitbewerber sich zunehmend auf die weitergehende umsatzsteuerlichen Befreiungen des Europarechts erfolgreich berufen. Gibt es Ihrer Ansicht nach Indizien, die die Gemeinnützigkeit in Deutschland bedrohen könnten – wenn ja, in welchen Bereichen? Die Befürchtung, dass es konkrete Ansätze gibt, die Gemeinnützigkeit generell „abzuschaffen“, mag zwar übertrieben sein. Wo wir aber zunehmend Probleme erkennen, ist der Bereich des EU-Beihilferechts, wonach staatliche Beihilfen grundsätzlich verboten sind, da diese den freien Wettbewerb beeinträchtigen. Da sehe ich große Gefahren für weite Teile des gemeinnützigen Sektors. Vor allem für die steuerrechtlich privilegierten Zweckbetriebe kann es zu Problemen kommen. Diesen werden aus gutem Grund staatliche direkte oder indirekte Vorteile gewährt. Im Fall der AWO SANO gGmbH, einer gemeinnützig geführten Ferienstätte, hatte sich ein nicht gemeinnütziger Konkurrent mit den Argumenten an die Kommission gewandt, die gGmbH erhalte Wettbewerb verzerrende Subventionen, die deutsche und ausländische Gewerbebetriebe nicht erhalten. Die Kommission hatte letztendlich entschieden, dass die Zuwendungen mit dem EU-Recht vereinbar seien. Ob das in vergleichbaren Fällen ähnlich laufen wird, wissen wir nicht. Was wären die konkreten Auswirkungen? In welchen Bereichen wären die Auswirkungen tragbar? In welchen würden große Probleme auf gemeinnützige Organisationen zukommen? Sollten Tendenzen der Kommission beziehungsweise des EuGH zunehmend erkennbar werden – und insofern gibt es ja durchaus vermehrt Warnsignale und zu schwache Interessenvertretung der gemeinnützigen Organisationen – Beihilfen als nicht gerechtfertigt anzusehen, besteht tatsächlich für den gemeinnützigen Sektor in seiner ganzen Breite die Gefahr, bestimmte Leistungen nicht mehr wie heute erbringen zu können. Vor allem Initiativen und Dienstleistungen, deren wirtschaftliche Konzepte auf einer Mischfinanzierung aus Spenden und Einnahmen aus Zweckbetrieben basieren und nur funktionieren, wenn diese Einnahmen nicht steuerpflichtig werden, könnten ihre gemeinnützigen Aktivitäten nicht mehr finanzieren und wären damit existenziell bedroht. Es wäre eine Katastrophe für das Gemeinwesen. Wo sind gemeinnützigkeitsrechtliche Fragestellungen in Europa derzeit aufgeworfen beziehungsweise anhängig? Zu erwähnen ist hier zum einen die jüngste Entscheidung der EU-Kommission zur staatlichen Förderung der Kletterhallen des Deutschen Alpenvereins. Dem Deutschen Alpenverein wurde durch das Land Berlin unter anderem ein Grundstück zu einem sehr geringen Pachtzins zum Bau einer Kletterhalle zur Verfügung gestellt. Hiergegen wandte sich ein kommerzieller Kletterhallenbetreiber. In ihrer Entscheidung bejahte die Kommission zwar das Vorliegen einer Beihilfe, sah diese aber als gerechtfertigt an (de-minimis-Verordnung). In gleiche Richtung zielen Wettbewerbsverfahren kommerzieller Fitnessstudios gegen 2

gemeinnützige Sportvereine oder die Beschwerde einer Hotelkette gegen das Deutsche Jugendherbergswerk. Was mir Sorgen macht: Solche Fälle nehmen zu. Wie steht es um das Vorhaben der Europäischen Stiftung? Wäre dies vorteilhaft für die deutschen gemeinnützigen Organisationen? Mit der Europäischen Stiftung (Fundatio Europaea – „FE“) sollte eine einheitliche europäische Rechtsform geschaffen werden, die neben den bereits bestehenden inländischen Stiftungsinstituten bestehen sollte. Leider wurde mangels einstimmigen Ratsbeschlusses im Dezember des vergangenen Jahres einer schnellen Umsetzung der FE der Boden entzogen. Momentan steht die FE nicht einmal mehr auf der Agenda der amtierenden Ratspräsidentschaft, sodass mit einer zeitnahen Einführung nicht zu rechnen ist. Ob die FE, obwohl sie nur eine rein zivilrechtliche Regelung wäre, ein geeignetes Instrument gewesen wäre, um Hemmnisse bei der grenzüberschreitenden Stiftungsarbeit abzubauen und hiermit jedenfalls die Tür zu einem europäischen Gemeinnützigkeitsrecht zu öffnen, ist strittig. Diese Tür ist nunmehr jedenfalls zugeschlagen, sodass wir uns darauf konzentrieren müssen, eine Harmonisierung des Gemeinnützigkeitsrechts auch ohne das Vehikel der FE und ein besseres Verständnis für die Bedeutung der Gemeinnützigkeit auf EU-Ebene zu erreichen. Wie müsste eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts im zusammenwachsenden Europa Ihrer Ansicht nach aussehen? Der wichtigste Schritt ist, die Entscheider auf europäischer Ebene für die besondere Bedeutung des gemeinnützigen Sektors, der nicht nach profitorientierten Maßgaben tätig ist, zu sensibilisieren. In der Praxis heißt das, dass gemeinnützige Organisationen ihre Aktivitäten nicht nur an „lukrativen“ Standorten erbringen dürfen, sondern auch in die Fläche tragen müssen. Der damit verbundene Wettbewerbsnachteil kommerzieller Anbieter, wie auch die Pflichten, die das Gemeinnützigkeitsrecht auferlegt (Mittelverwendung, Ausschüttungsverbot etc.), die ein freies, rein profitorientiertes Wirtschaften einschränken, müssen als Argumente für eine Privilegierung auch im europäischen Diskurs in die Waagschale geworfen werden. Dies den europäischen Entscheidern zu vermitteln, dürfte eine der wichtigsten Aufgaben der gemeinnützigen Organisationen und ihrer Verbände in den nächsten Jahren darstellen. Warum melden sich so wenige gemeinnützige Organisationen, Verbände oder sonstige Institutionen zu Wort, wenn die eben beschriebene Relevanz so hoch ist? Das Problem ist zum einen, dass die Materie, um die es hier geht, höchst anspruchsvoll ist und selbst einem Fachpublikum nur schwer vermittelt werden kann. Von Organisationen, die überwiegend mit ehrenamtlichen Strukturen arbeiten und in erster Linie lokale Aktivitäten entfalten kann, daher eine tiefere Auseinandersetzung mit dieser Thematik wohl kaum erwartet werden. Umso wichtiger ist es, dass sich diejenigen Organisationen, die über 3

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