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Jahresbericht 2013 der Stiftung Liebenau

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Der Jahresbericht der Stiftung Liebenau, der Stiftung Hospital zum Heiligen Geist und der Stiftung Helios – Leben im Alter. Die drei Stiftungen sind mit insgesamt 6 000 Mitarbeitern an 90 Standorten in Deutschland, Österreich, Italien, Bulgarien und der Schweiz tätig, hauptsächlich in den Aufgabenfeldern Altenhilfe, Hilfe für Menschen mit Behinderung, Gesundheit, Bildung und Hilfen für Kinder und Jugendliche.

Hilfen für

Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien Suche nach Unterstützung: Oft ein großer Kraftakt Ein Monitor auf dem Küchentisch überwacht den acht Jahre alten Tobias, der nebenan im ehemaligen Wohnzimmer in einem Pflegebett liegt. Eigentlich kann man ihn keine einzige Minute allein lassen, denn seine größte Lebensbedrohung besteht darin, zu ersticken: an Erbrochenem oder einfach deshalb, weil er mit dem Kopf in die Lagerungskissen gerutscht ist. Den Alltag mit einem schwerstbehinderten Kind zu bewältigen, ist alles andere als leicht. Dabei ist die Behinderung des Kindes oft gar nicht das größte Problem. Viele zusätzliche Schwierigkeiten bereitet der Umgang mit Krankenkassen und Kostenträgern. Es fehlen Anlaufstellen, die einen Überblick über die Unterstützungsmöglichkeiten geben könnten. Schon in der Schwangerschaft wurde bei Sandra Becker (die den Namen ihrer Familie nicht öffentlich machen möchte) eine Auffälligkeit festgestellt. Man war sich aber nicht ganz sicher über die Auswirkungen. Sie brachte ihren Sohn Tobias normal zur Welt, und das Kind zeigte keine Anomalien, außer dass er beim Trinken öfter hustete. Mit knapp vier Monaten erlitt er einen ersten Krampfanfall. Und am Ende des einwöchigen Krankenhausaufenthaltes erhielten die Eltern die Diagnose: eine Fehlbildung des Gehirns, die zu schwerster geistiger und motorischer Behinderung führt. Ohne Familie bliebe nur die Intensivstation „Am Anfang war der Schock groß. Ich hatte zwar etwas Erfahrung in der Pflege“, erzählt Sandra Becker, „aber mit Tobias war das etwas ganz anderes. Wir kamen aus dem Krankenhaus nach Hause und wussten nicht, wie wir den Alltag bewältigen sollten.“ Sie fühlten sich allein gelassen. Eine ganze Nacht durchgeschlafen, das hat Sandra Becker seither kaum mehr. Mit einem Jahr stellte Tobias das Essen ein, er konnte schlichtweg nicht mehr schlucken. Eine Sonde wurde gesetzt. „Die Krankenschwestern haben mir damals zwar erklärt, wie man sondiert. Aber wie ich es praktisch umsetzen soll, dass ich dem Kind aufgrund einer Spezialdiät 18 Stunden am Tag Nahrung geben muss, das konnte mir keiner sagen.“ Hilfe von Freunden oder Verwandten war kaum möglich, weil Tobias an einer schweren Epilepsie leidet und die langandauernden täglichen Krampfanfälle nicht zu behandeln sind. Weil er nicht sprechen kann, ist jeder Tag ein Rätselraten: Warum weint er gerade? Ständig kommt irgendetwas Neues hinzu. Die Pflege für Tobias ist so speziell, dass, wenn die Mutter aus irgendeinem Grund ausfallen würde, eine Betreuung nur noch auf der Intensivstation möglich wäre. Alltag als logistische Herausforderung Je größer Tobias wurde, desto spezieller wurden die benötigten Hilfsmittel. Große Windeln, Sondensysteme, Medikamente und Nahrung werden von mehreren Versorgern einmal im Monat geliefert. Zum Glück hat Familie Becker einen großen Keller für die vielen Kartons, die eingelagert werden müssen. Das Pflegebett, die Badehilfe und andere Hilfsmittel brauchen so viel Platz, dass die Familie umbauen musste. Im Sommer kann Tobias spazieren gefahren werden. Im Winter Zahlen und Fakten Bundesweit erkranken jährlich 50 000 Kinder schwer. Dazu kommen etwa 25 000 Früh- und Risikogeborene. Allein in Baden-Württemberg müssen 3 000 Kinder und ihre Familien mit der belastenden Diagnose einer lebenslimitierenden Erkrankung leben lernen. Für die Region Bodensee-Oberschwaben-westliches Allgäu ergibt sich daraus rein statistisch ein Versorgungsbedarf für etwa 500 betroffene Kinder und deren Familien in unterschiedlicher qualitativer wie quantitativer Ausprägung. 52 HILFEN FÜ R KIND ER, JUGENDLICHE UND FAMILIEN

Liebenauer Netzwerk Familie hilft geht das nicht, weil die Nahrung, die er währenddessen über die Sonde erhält, viel zu kalt werden würde. Das sind aber nicht die einzigen Probleme. „Ich habe wahnsinnig viel Wäsche“, so Sandra Becker. „Pro Tag komme ich auf zwei bis drei Maschinen, und eigentlich kann ich die auch nicht aufhängen gehen, weil ich Tobias ja dann aus den Augen lassen muss“, erklärt sie. Eine zentrale Anlaufstelle fehlt Seit einem Jahr hat Familie Becker endlich die Bewilligung für einen Pflegedienst. Ein ganzes Jahr lang musste Sandra Becker bei der Krankenkasse dafür kämpfen. Sie musste schwer verständliche Anträge ausfüllen und in Widerspruch gehen, bis der Sachbearbeiter endlich begriff, um welches Krankheitsbild es sich bei Tobias handelt und dass die Familie bei der zu leistenden 24-Stunden-Betreuung tatsächlich auf Hilfe angewiesen ist. Ihre Erfahrung: „Man muss immer selbst aktiv werden, sonst passiert nichts und man bekommt die dringend benötigte Hilfe nicht.“ Die Familien müssen sich die Informationen allein zusammensuchen. Eine zentrale Anlaufstelle, das wäre vor acht Jahren für Familie Becker von unschätzbarem Wert gewesen. Jetzt könnte sie diesen Job selbst machen, lächelt Sandra Becker. „Man wächst in die Situation hinein. Aber einfach ist es nicht.“ Eine große Entlastung sind die Nachmittage, an denen der Pflegedienst kommt. Dann kann sie sich auch mehr um das Geschwisterkind kümmern, das oft zurückstecken muss. Ein Wermutstropfen ist allerdings auch dabei: Die Krankenkasse hat die anfangs bewilligten 80 Stun- Seit fünf Jahren betreut die sozialmedizinische Nachsorge Familien nach dem Klinikaufenthalt zu Hause und hilft so, den Alltag zu bewältigen. Sie leistet einen wesentlichen stabilisierenden Beitrag sowohl im Sinne der Überleitungspflege wie auch der psychosozialen Betreuung der Familie. Der ambulante Kinderhospizdienst (Amalie) begleitet betroffene Kinder und Jugendliche mit ihren Familien zuhause. Ziel der Arbeit ist es, die Hilflosigkeit aufzufangen, die Familien und ihr Umfeld zu stärken und die Angehörigen zu entlasten. Für entwicklungsverzögerte oder behinderte Kinder stellt gezielte Förderung eine wichtige Chance dar, die Folgen früher Entwicklungsprobleme abzuwenden oder zu mildern. Die Frühförderstelle Markdorf bietet entsprechende Therapien. Familien, die in der ersten Zeit nach der Geburt eines Kindes Unterstützung wünschen oder unter besonderen Belastungen leiden (z.B. Mehrlingsgeburt, alleinerziehend), finden bei wellcome Ehrenamtliche, die unterstützen und entlasten können. Um den Geschwistern von Kindern mit Behinderung und chronischer Krankheit Raum für ihre Wünsche, Empfindungen und Bedürfnisse zu geben, wurde die Geschwisterzeit entwickelt. Bei gemeinsamen Veranstaltungen mit anderen betroffenen Kindern können die Geschwister Handlungsstrategien für ihren besonderen Alltag entwickeln. den pro Monat mittlerweile zwar auf 120 Stunden aufgestockt, allein, die Umsetzung scheitert daran, dass der Kinderkrankenpflegedienst nicht genügend Personal hat. HILFEN FÜ R KINDER, JUGENDLICHE UND FAMILIEN 53

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