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Auf Kurs 02/2016

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Autismus Junge Menschen

Autismus Junge Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung im BBW Berufseinstieg mit Autismus „Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen können eine Ausbildung erfolgreich absolvieren und sind auf dem ersten Arbeitsmarkt integrierbar.“ So heißt es wörtlich in der Autismus-Konzeption des Berufsbildungswerkes Adolf Aich (BBW). Und das steht nicht nur auf dem Papier, das beweist das BBW Jahr für Jahr und hat sich längst als hochspezialisiertes Kompetenzzentrum für Menschen mit besonderem Teilhabe- und Förderbedarf – insbesondere auch in Sachen Autismus – etabliert. Aktuell betreut das BBW in Ravensburg rund 70 Autisten. Tendenz steigend. Doch nicht nur die Zahl dieser Teilnehmer nimmt zu. Auch ihr Betreuungsaufwand wird immer höher – und damit die Hürden auf dem Weg in den Arbeitsmarkt. Um diese zu meistern, braucht es viel Geduld, Knowhow und eine Infrastruktur, wie sie eine Komplexeinrichtung wie das BBW unter einem Dach vereint. Hier kümmert sich ein eingespieltes Team aus Psychologen, Sozialpädagogen, Ausbildern, Lehrern sowie einem Kinderund Jugendpsychiater um die jungen Menschen. Am Anfang steht die Eignungsdiagnostik. Sie bildet die Basis für den weiteren Förderplan im BBW. Aufbauend auf die Fertigkeiten und Neigungen des einzelnen Jugendlichen werden die persönlichen Ressourcen genutzt und gefördert. Defizite werden kompensiert, Alternativen für etwaige Verhaltensprobleme erarbeitet. Netzwerk von Bildungsprofis Um das Zusammenspiel aller Fördermaßnahmen kümmert sich – wie bei jedem Jugendlichen im BBW – der jeweilige Bildungsbegleiter. Diese sozial- Martin B.: vom BBW zum Studium Martin B. ist einer von vielen Jugendlichen mit Autismus, die durch das BBW ihren beruflichen Weg gefunden haben – auch wenn der dann in eine ganz andere Richtung ging als von ihm selbst zunächst gedacht. Denn für Martin B. war schon vor seinem Start in seine Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB) im BBW klar gewesen: Koch wolle er werden, schließlich koche er zuhause ja gerne. Der Stress und die Hektik in der Küche? An das alles dachte er nicht bei seinem vorschnellen Berufswunsch. Das sei ganz typisch für Jugendliche mit einer Autismus-Spektrum-Störung, erklärt BBW-Psychologin Gabriele Schneider. „Viele wollen auch gleich den Beruf ergreifen, in dem sie ein erstes Praktikum gemacht haben.“ Dabei gibt es vielleicht bessere Alternativen. Diese lernte auch Martin B. im Laufe seiner BvB kennen, schnupperte in die verschiedensten Berufsfelder hinein und beließ es schließlich beim Kochen als Hobby. Stattdessen entschied er sich für eine Ausbildung zum Fachlageristen. Hier kam er gut zurecht, das Arbeitsumfeld stimmte, und es machte ihm Spaß. Und das BBW schnürte ein auf Martin B.s Bedürfnisse genau abgestimmtes individuelles Förderpaket: So ging es zum Beispiel darum, seinen Umgang mit Kritik und generell seine sozialen Kompetenzen zu verbessern, ihn damit fit zu machen für den Alltag am Arbeitsplatz. Neben einem gezielten Coaching durchlief er mehrere Wohnformen – vom BBW-Internat über die Außenwohngruppe bis hin zum eigenen Appartement in der Stadt – und wurde dabei Schritt für Schritt immer selbstständiger. Das theoretische Rüstzeug für seinen Beruf erhielt er in der Josef- Wilhelm-Schule des BBW. Heute sind seine Perspektiven bestens: Martin B. Er hat nicht nur seine Ausbildung im BBW mit Erfolg beendet, sondern inzwischen sogar ein BWL-Studium begonnen. Gabriele Schneider kann von mehreren solcher Erfolgsstorys berichten. Doch natürlich endet nicht jede Geschichte an der Uni. Bei anderen jugendlichen Autisten ist es aufgrund der Schwere ihrer Beeinträchtigungen fraglich, ob sie überhaupt eine Ausbildung schaffen. Sicher ist aber: Im BBW wird alles versucht, ihnen den Berufseinstieg und damit Teilhabe zu ermöglichen. pädagogischen Fachkräfte dienen auch als Art „Übersetzer“, um die im Umgang von Autisten mit Nicht-Autisten immer wieder entstehenden Missverständnisse auszuräumen. Oder sie organisieren den passenden Praktikumsplatz, helfen beim Umgang mit Behörden und Kostenträgern, stehen im Kontakt mit dem Jugendamt oder der Agentur für Arbeit und koordinieren weitere Hilfen. Eng begleitet wird der Ausbildungsalltag von Autisten insbesondere auch vom BBW-Fachdienst Diagnostik und Entwicklung. Dieser gestaltet den medizinisch-therapeutischen Prozess. „Von ihrem ersten Tag im BBW bis zu ihrem letzten erhalten diese Menschen von uns ein individuell angepasstes Coaching – sowohl einzeln als auch in der Gruppe“, erklärt Fachdienstleiter Dr. Stefan Thelemann. Und im Fall einer akuten Krise sind die BBW-Psychologen um Gabriele Schneider dank der kurzen Wege schnell zur Stelle. Mögliche Schwierigkeiten bekommen Schneider und ihre Kollegen ohnehin mit, stehen sie doch in regelmäßigem Austausch mit den Ausbildern und Lehrkräften. Erfolgreich durch die Prüfungen Bei den Prüfungen ist Schneider mitunter sogar selbst anwesend – als Begleitperson. Eine solche dürfen Prüflinge mit Autismus im Rahmen des Nachteilsausgleichs in der Regel mitbringen. Dabei klärt die BBW-Psychologin die Prüfer zum Beispiel darüber auf, keine unklaren oder doppelten Fragen zu stellen und damit ihr autistisches Gegenüber in die Bredouille zu bringen. Was den Lernstoff angeht, gibt es natürlich auch für Autisten keine Extrawurst. Die Leistungsnachweise müssen erbracht werden. Und das schaffen immer wieder auch Jugendliche, die einst als fast aussichtslose Fälle galten. Doch finden sie dann auch einen Arbeitsplatz? Damit auch dieser letzte Schritt ins Berufsleben gelingt, gibt es Bewerbertraining und Hilfe bei der Jobvermittlung. Auch den Führerschein können die Autisten direkt in der neuen hauseigenen BBW-Fahrschule machen (siehe auch Seite 13) . Ihre Jobchancen stehen dann nicht schlecht. „Über frühzeitige Vermittlungspraktika können – wenn die Rahmenbedingungen stimmen – Nischen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gefunden werden, die den Fähigkeiten und Erfordernissen der Absolventen entsprechen“, weiß Dr. Thelemann. Guter Ruf eilt BBW voraus Dabei hat sich das BBW mit Kliniken, Therapeuten, Jugendpsychiatern und Im BBW bauen junge Menschen mit besonderem Teilhabebedarf an ihrer beruflichen und persönlichen Zukunft. Sie können dabei auf die volle Unterstützung eines ganzen Expertenteams um sie herum zählen – insbesondere wenn sie von einer Autismus-Spektrum-Störung betroffen sind. Fotos: Kästle „Sie brauchen feste Abläufe und eine reizarme Umgebung“ Der BBW-Fachdienst Diagnostik und Entwicklung unter Leitung von Dr. Stefan Thelemann begleitet junge Menschen mit Autismus auf ihrem Weg in den Beruf. Auf Kurs fragte nach: Herr Dr. Thelemann, auf was muss im Ausbildungsalltag bei Menschen mit Autismus besonders geachtet werden? „Ob im Klassenzimmer, in der Ausbildungswerkstatt oder im Wohnheim: Stabile Rahmenbedingungen sind für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen das A und O. Wir achten dabei auf feste Abläufe sowie eine reizarme Umgebung. Das heißt zum Beispiel, auf unnötige Dekoration am Arbeitsplatz zu verzichten, Raumteiler zu installieren und den Lärmpegel so gering wie möglich zu halten. Darüber hinaus werden Auszeiten gewährt und Ruhe-Zonen eingerichtet. Es gibt autismusspezifische Wohngruppen und entsprechende Freizeitangebote. In unserer Sonderberufsschule erhalten jugendliche Autisten zum Beispiel auch zusätzlichen Stütz- und Förderunterricht.“ anderen Fachleuten bestens vernetzt. So ist man Mitglied im Kompetenznetzwerk Autismus Bodensee- Oberschwaben und richtet jedes Jahr dessen Fachtag aus. Darüber hinaus ist das BBW derzeit dabei, in einem Fachausschuss zusammen mit anderen Berufsbildungswerken und dem Elternverband autismus Deutschland e. V. ein Qualitätssiegel für Berufsbildungswerke in Sachen Autismus zu entwickeln und damit eine Zertifizierung zu ermöglichen, berichtet Dr. Thelemann. Schon jetzt eilt dem BBW hier ein sehr guter Ruf voraus. Die Folge: Aus dem ganzen Bundesgebiet kommen mittlerweile von Autismus betroffene Jugendliche zur Ausbildung ins Ravensburger Berufsbildungswerk. Christof Klaus 6 | Auf Kurs 2-2016 Auf Kurs 2-2016 | 7

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