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Anstifter 2, 2017 der Stiftung Liebenau

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Der Anstifter ist die Hauszeitschrift der Stiftung Liebenau mit Themen aus den Bereichen Bildung, Familie, Gesundheit, Lebensräume, Pflege, Service und Teilhabe.

Stiftung Liebenau Gesundheit Balance zwischen Nestwärme und Abgrenzung Seit fünf Jahren ist der Jugend- und Heimerzieher Gruppenleiter auf der Wohngruppe LUK 41 der St. Lukas-Klinik. Eine Wohngemeinschaft, in der Jugendliche und junge Erwachsene mit geistiger Behinderung und psychischen Störungen zusammenleben. „Eric, was kommt wenn man stirbt?“. Die großen Fragen des Lebens, zwischen Klößen und Pilzsoße – Eric Albrecht nimmt es mit einem Lachen hin. „Die Frage ist zu schwierig, um sie beim Essen zu beantworten“, antwortet Eric Albrecht dem jungen Mann neben ihm am Tisch des Gemeinschaftsraums. Dessen Interesse für das Jenseits war jedoch nur flüchtig. In Gedanken ist er längst auf der Achterbahn des Europaparks, wo er gerade den gemeinsamen Ausflug vom letzten Sommer durchlebt. „Es ist enorm spannend, einen Zugang zu den Menschen hier zu finden und sich auf eine so heterogene Gruppe einzustellen“, sagt Eric Albrecht. Die verschiedenen kognitiven Fähigkeiten und Charaktere der Bewohner offenbaren sich bereits in der Gestaltung ihrer Zimmer: Manche sind völlig reizarm und spartanisch eingerichtet, andere sehr wohnlich und mit Büchern, Gesellschaftsspielen und Postern ausgestattet. Die Störungsbilder mit denen die Bewohner leben, fordern denen, die sie betreuen, pflegen und therapieren, eine große Flexibilität ab. „Hätte ich meinen Zivildienst nicht in der Stiftung Liebenau absolviert, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, einen sozialen Beruf zu ergreifen“, erzählt Eric Albrecht. Inzwischen ist er als Gruppenleiter auch mit übergeordneten Aufgaben betraut, plant und organisiert die Abläufe auf der Station, schreibt Dienstpläne und bespricht individuelle Therapieplanungen mit der therapeutischen Leitung der Wohngruppe. „Eigentlich hatte ich mir als Schüler vorgestellt, später mit Computern und Netzwerken zu arbeiten“, lacht Albrecht. Um Netzwerke und Systeme geht es im Prinzip auch heute bei ihm. Allerdings nennen sie es auf LUK 41 „Milieu-Therapie“. Verbindungen aufzubauen, braucht hier freilich etwas mehr Geduld als bei Computern, und wenn jemand nicht so funktioniert, wie es sich sein Umfeld wünscht, kann man ihn auch nicht einfach aus und wieder einschalten. Bis zu drei Jahre verbringen die Kinder und Jugendlichen hier, da wächst man zusammen. „In dieser Zeit werden wir für viele unserer Bewohner zu einem Familienersatz. Das hört sich im ersten Moment etwas verklärt an, damit geht aber auch eine große Verantwortung einher“, sagt Eric Albrecht. „Den richtigen Mix aus Nestwärme und der nötigen Abgrenzung zu finden, ist für das Erreichen der Therapieziele unabdingbar.“ Diese zu erreichen, daran misst Albrecht auch sich und seine Kollegen, ein Team aus pädagogisch ausgebildeten Mitarbeitern, die eng mit der Therapieleitung und den Fachärzten des klinischen Bereichs zusammenarbeiten. Eine Zukunft mit größtmöglicher Autonomie möchten sie den Betreuten ermöglichen. Diese gestaltet sich bei so facettenreichen Persönlichkeiten, wie sie hier zusammentreffen, natürlich sehr individuell und auch Rückschläge gehören dazu. Im geschützten Raum der St. Lukas-Klinik lässt sich das Leben mit den Beeinträchtigungen zwar üben, einige Bewohner werden jedoch ihr Leben lang auf Unterstützung angewiesen sein. Nicht zuletzt wartet draußen eine Welt, die sie allzu oft auf ihre Störungen reduziert, als „den Autisten“ oder „die Borderlinerin“ stigmatisiert. Das weiß auch Eric Albrecht. „Uns ist klar, dass wir mit unserer Arbeit immer mal wieder scheitern, das ist aber kein Grund, den Menschen nicht die bestmögliche Unterstützung zu geben.“ Oder auch mal große Fragen des Lebens zu beantworten. (dk) 24 anstifter 2 | 2017

Stiftung Liebenau Bildung Neue Wege mit allen für alle Bildung für jedes Kind durch „Individuelles Lernen“ In Sachen Inklusion geht die Stiftung Liebenau immer wieder neue Wege: Zu einer wegweisenden Kooperation hat sich die Don- Bosco-Schule mit der Manzenbergschule in Tettnang zusammengetan. Ihr inklusives Schulangebot richtet sich an Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Von dem Projekt unter Federführung der beiden Rektoren Wolfgang Közle und Eugen Weber zeigte sich auch Manfred Lucha, Minister für Soziales und Integration Baden-Württemberg, beeindruckt. Wie kann Inklusion gelingen? Das stand im Mittelpunkt des Austausches zwischen Minister Manfred Lucha und Vertretern der Don-Bosco-Schule, der Manzenberg- und der Uhlandschule sowie des Staatlichen Schulamts, Vertretern der Stadt Tettnang und der Stiftung Liebenau. Eine mögliche Antwort gibt eine Kooperation zwischen dem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) der Don-Bosco-Schule und der Gemeinschaftsschule Manzenberg. Seit dem Schuljahr 2014/2015 ist hier das inklusive Beschulungsangebot verlässlich geregelt. Alle Schülerinnen und Schüler werden durchgehend gemeinsam unterrichtet. Kinder mit einem erhöhten Unterstützungsbedarf werden von einem Sonderschullehrer der Don-Bosco-Schule ebenso begleitet, wie jedes andere Kind, das Hilfe benötigt. Trotz unterschiedlicher fachlicher Vorbereitungsschwerpunkte sind alle Lernbegleiter für alle Kinder da. „Unsere kooperative Organisationsform bietet die Lösung für das Teamteaching“, erläuterte Schulleiter Közle. In diesem Teamteaching wird Verantwortung geteilt und solidarisches und zieldifferentes Lernen neu gestaltet. Für Lucha ist dies ausschlaggebend für „die tolle Atmosphäre und angenehme Ruhe an der Schule, wo von allen, mit allen, für alle, neue Wege gefunden werden.“ Schüler erhalten individuelle Lernangebote, die ihrem Lern- und Entwicklungsstand entsprechen. Größter Wert wird dabei darauf gelegt, dass die Unterrichtsmaterialien, wie zum Beispiel Lernblätter, sich optisch stark ähneln, sodass keine Ausgrenzung geschieht. Bei der neuen Form des „Individuellen Lernens“ sitzen die Kinder nicht mehr an Zweiertischen und werden frontal unterrichtet. Jeder hat einen Einzeltisch mit einer Fächerbox vor sich, in welcher sich die wichtigsten Unterlagen befinden. Dort sitzt auch Tim, ein inklusiv beschulter Schüler. Seine Mutter betont, dass Inklusion von klein an gelebt und spielerisch gelernt werden muss, damit sie in unserer Gesellschaft selbstverständlich wird. Nur dann muss sie nicht mehr anderen Kindern erklären: „Das Down-Syndrom ist nicht ansteckend!“ Zwar waren sich die Anwesenden einig, dass echte gesellschaftliche Inklusion noch lange nicht verwirklicht ist und dass es bis dahin noch Jahrzehnte dauern kann. Die Offenheit und Bereitschaft der Lehrer helfe bei dem Prozess. Markus Wursthorn, Geschäftsleiter Schule, Erziehung, Bildung und Arbeit der Liebenau Teilhabe, sagt: „Hier haben wir ein Musterprojekt für gelungene inklusive Bildung.“ Dafür brauche es allerdings förderliche Rahmenbedingungen. So gewährt das Staatliche Schulamt Spiel- und Freiräume, damit ein individualisiertes und kooperatives Lernen möglich ist. Aber auch die Grundhaltung und Motivation der Lernbegleiter zusammen mit dem Zwei-Pädagogen Prinzip spiele eine große Rolle, damit Wege für Inklusion gefunden werden. „Wir sind alle Inklusionisten!“, zeigte sich Lucha beeindruckt von der Selbstverständlichkeit, mit der an der Manzenbergschule inklusive Bildung gelebt wird. (al) Schule live (stehend, v.l.): Dr. Otto Reichert, Sonderschulrektor Uhlandschule; Markus Wursthorn, Geschäftsleitung Liebenau Teilhabe; Manfred Lucha, Minister für Soziales und Integration Baden-Württemberg; Dr. Christian Urff, Inklusionslehrer der Don-Bosco-Schule; Tettnangs Bürgermeister Bruno Walter. anstifter 2 | 2017 25

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