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Anstifter 1, 2016 der Stiftung Liebenau

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Der Anstifter ist die Hauszeitschrift der Stiftung Liebenau mit Themen aus den Bereichen Altenhilfe, Behindertenhilfe, Bildung, Gesundheit, Familie und Dienstleistungen.

Zeichnung: Arnold Fuchs

Zeichnung: Arnold Fuchs Inklusion – keine Sache für Einzelkämpfer Fachtag: Teilhabe von Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf von Christof Klaus und Anne Oschwald LIEBENAU – Der Mensch ist ein soziales Wesen: In Sachen Inklusion und Teilhabe erst recht. Es kommt auf alle an. Doch welche Chancen haben hier Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf? Wie sieht die Lebenssituation von Personen mit herausforderndem Verhalten oder Mehrfachbehinderungen aus? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Fachtages der St. Gallus-Hilfe im vergangenen November. Fachkräfte und Interessierte nutzten die Gelegenheit für Diskussionen und erhielten neue Impulse. „Teilhabe ist eine zentrale Voraussetzung für das Menschsein“, stellte Prof. Dr. Theo Klauß in seinem Vortrag klar. Deshalb wurde Teilhabe in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen zum Menschenrecht erklärt. Und damit auch Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen selbstbestimmt teilhaben können, braucht es Inklusion. Aber gilt das wirklich für alle? Auch für Menschen mit erheblichen und oft mehrfachen körperlichen „Inklusionsunfähige Menschen gibt es nicht.“ Prof. Dr. Theo Klauß, Professor für Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung i. R. und geistigen Beeinträchtigungen, die auf regelmäßige Betreuung, medizinische Behandlung, womöglich sogar auf eine Ernährung per Sonde angewiesen sind, die sich selbst kaum oder gar nicht verbal ausdrücken können? Oder heißt es dann: „Mit euch doch nicht, oder?“, wie Prof. Dr. Theo Klauß seinen Vortrag provokant überschrieben hatte, zugleich aber betonte: „Inklusionsunfähige Menschen gibt es nicht.“ Klar sei aber: „Menschen mit schwerer und komplexer Behinderung sind besonders gefährdet, ausgegrenzt zu werden.“ Auch in Zeiten der Inklusion. Denn während „Fittere“ immer mehr in „normale“ Lebenszusammenhänge einbezogen werden, bleiben sie meist in relativ isolierten Lebenssituationen. „Die große Mehrheit unserer Bevölkerung und die meisten Ärzte, Therapeuten, Lehrer und Politiker kennen diese Menschen nicht, weil sie in ihrem Alltag nicht vorkommen. Aber was ist zu tun? „Die Behindertenrechtskonvention ist sozusagen ein Auftragsbuch“, so Klauß. Demnach müsse die Chance auf Teilhabe überall geschaffen werden – angefangen von der Familie über Bildung, Wohnen, Freizeit, Gesundheitswesen bis hin auch zur Arbeit. Das Erleben von Produktivität, das soziale Zusammensein, der Spaß an Aktivität durch eine geeignete Beschäftigung seien wichtig: „Es gibt gute Beispiele dafür, dass und wie Menschen mit hohem Hilfebedarf Tätigkeiten nachgehen können, 24 Menschen mit Behinderung

Die St. Gallus-Hilfe lädt zu den jeweiligen Fachtagen Experten ein: (links) Prof. Dr. Theo Klauß, Professor für Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung i. R., sprach über die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention bei Personen mit hohem und komplexem Hilfebedarf. Der Psychologische Psychotherapeut Dr. Jan Glasenapp zeigte Wege auf, Lösungen zu finden und Inklusion zu verwirklichen. Fotos: Klaus „Inklusion ist für mich kein Ziel, sondern ein Wert.“ Dr. Jan Glassenapp, Psychologischer Psychotherapeut die ihnen diese Erfahrungen ermöglichen“, so Klauß. Zudem müsse das Bewusstsein der gesamten Gesellschaft geschärft werden. „Die Behindertenrechtskonvention ist ohne Zweifel ein großer Wurf, ein Ideal, ein Fixstern am Firmament der Menschen mit Behinderung und derer, die damit zu tun haben“, erklärte Jörg Munk, Geschäftsführer der St. Gallus-Hilfe. Zugleich forderte er dazu auf, sich mit einem realitätsnahen Blick die Thematik anzugehen – gerade aus Sicht eines Trägers, der um die konkrete Lebenssituation dieser Menschen und auch um die Herausforderungen an ihre Angehörigen wisse. Deshalb sei in der Inklusionsdebatte ein Schwarz-Weiß-Denken nicht hilfreich, kritisierte er die „Sehnsucht nach einfachen Lösungen und Antworten“. Es drohe dabei die Gefahr, „dass sich die Praxis der Behindertenhilfe in einer Ecke wiederfindet, die mir zumindest ein gewisses Ungemach bereitet“. Was es seiner Meinung nach braucht zur sozialen Teilhabe von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf? Eine differenzierte Form von Assistenz, Begleitung und Aktivierung, begleitet von sozial- staatlichen Reformen – und eine Portion Mut. Jörg Munk: „Wir sollten wieder mehr Soziales unternehmen und mehr Teilhabe wagen!“ Über Grenzen und Entgrenzung bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderung sprach Dr. Jan Glasenapp, Psychologischer Psychotherapeut aus Schwäbisch Gmünd. Es entstünden Barrieren, an die sowohl Fachkräfte als auch ihre Klienten stoßen. Und leider gebe es hier kein „Navi für Pädagogik“. Bei Inklusion gehe es um das richtige Ausbalancieren verschiedener Spannungsfelder: zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen Beziehung und Struktur, zwischen Verstehen und Verändern. „Die gute Botschaft ist: Alle Grenzen können überwunden werden.“ Dazu brauche es Kreativität und auch eine gewisse Freiheit, Verantwortung übernehmen zu dürfen: „Wir müssen Lösungen zulassen, die außerhalb dessen liegen, was wir uns bisher erarbeitet haben.“ Und auf die innere Haltung komme es an. Viele sagen: Inklusion beginnt im Kopf. Für Glasenapp steht jedoch fest: „Inklusion beginnt im Herzen.“ Auch sei sie kein erreichbarer Endzustand, kein Ziel, sondern etwas, was uns lebenslang begleite – als Prozess des Nachdenkens über die Sinnhaftigkeit von Grenzen: „Inklusion ist für mich kein Ziel, sondern ein Wert.“ Theater und christlicher Impuls Zum Fachtag gehörten Workshops mit regen Diskussionen. Außerdem hielten „Die Außergewöhnlichen“ der St. Gallus- Hilfe aus Rosenharz dem Publikum einen Spiegel vor mit ihrem Theaterstück „Inklusion leicht gemacht“. Den Schlussimpuls des Fachtags setzte Prälat Michael H. F. Brock (Vorstand Stiftung Liebenau). „Dein Reich komme, Dein Wille geschehe“ könne als fundamentales Gebet zu jeder Lebenslage einen Beitrag leisten, so Brock. Unterschiedlichkeit entspreche biblisch gesehen der Vielfalt an Begabungen. Solle der Begriff „Angemessenheit“ lebbar werden, seien Antworten darauf zu finden, was für die individuelle Begabung, für die eigenen Möglichkeiten und für das persönliche Handicap angemessen ist. Selbstbestimmung statt Fremdsteuerung sei Voraussetzung für die Entfaltung der einzelnen Charismen. Habe man diese erbeten, könne man sagen „Dein Wille geschehe“: Dann handele es sich bei der Unterschiedlichkeit nicht um irdischen Mangel, sondern um göttlichen Willen. Menschen mit Behinderung 25

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